Gaddafi zwingt zur Flucht übers Meer

LIBYEN Chef der EU-Grenzschutztruppe Frontex erhebt im taz-Interview schwere Vorwürfe gegen das Regime: Behörden zwingen die Menschen zur Ausreise in untauglichen Booten bei schlechtem Wetter

BERLIN taz | Das Gaddafi-Regime zwingt afrikanische Flüchtlinge zur gefährlichen Flucht in überladenen Booten über das Mittelmeer. Das erklärte ein führender Vertreter der europäischen Grenzschutzagentur Frontex im taz-Interview. „Libysche Behörden üben auf kriminelle Weise Druck auf afrikanische Migranten aus, nach Italien zu flüchten“, sagte Klaus-Josef Rösler, zuständig für operative Einsätze von Frontex. Viel zu viele Leute würden ohne Rücksicht auf das Risiko auf viel zu kleine, seeuntüchtige Boote gepackt und gezwungen, Libyen zu verlassen, sagte er.

In den letzten Wochen sind immer wieder Boote aus Libyen auf ihrem Weg nach Italien verunglückt. Rund 1.200 Flüchtlinge sind nach Angaben des UNO-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR dabei entweder ertrunken oder werden vermisst.

Nach Angaben von Rösler stammen die Informationen über erzwungene Ausreisen von Flüchtlingen selbst, die nach ihrer Ankunft in Italien von Frontex-Mitarbeitern befragt werden. Rösler erinnerte daran, dass Gaddafi schon vor Wochen damit gedroht hatte, wenn er wolle, könne er Europa zu einem schwarzen Kontinent machen. „Das ist jetzt das Ergebnis.“

Der italienische Außenminister Franco Frattina hatte schon am Montag erklärt, Gaddafi zwinge als Vergeltung für Nato-Luftangriffe Migranten zur Flucht. „Wir sind mit einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit konfrontiert“, sagte er. Auch die Sprecherin der UNHCR, Melissa Fleming, bestätigte entsprechende Berichte. Sie sprach von einem Flüchtling, der sogar aus seiner Wohnung in Tripolis herausgeholt und auf ein Flüchtlingsboot gesteckt worden sei. Mit Schüssen in die Luft hätten zudem Soldaten überladene Boote zum Ablegen gezwungen.

Unterdessen hat die Nato die Bombardements auf Tripolis noch einmal verstärkt. Insbesondere ein Militärareal inmitten der Hauptstadt, auf dem sich Gaddafi aufgehalten haben soll, wurde intensiv angegriffen.

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