Kommentar Erdogan: Der falsche Anwalt für Deutschtürken

Im Munde des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan wird jede kritische Frage unglaubwürdig. Meistens gelangt der Premier nicht über großspurige Ankündigungen hinaus.

BERLIN taz | Es kommt nicht nur darauf an, was jemand sagt, sondern auch darauf, wer etwas sagt. Einem Porschefahrer wird man einen flammenden Appell zu umweltfreundlichem Verhalten kaum abnehmen, ein Metzger gibt einfach keinen guten Vegetarier ab. Ihnen allen geht eines ab: die Glaubwürdigkeit.

An Glaubwürdigkeit mangelt es auch Recep Tayyip Erdogan. So kann man mit Recht kritisieren, dass türkische Staatsbürger einer Sonderbehandlung unterzogen werden, wenn sie Ehepartnerin oder Ehepartner nachholen wollen, weil diese, anders als Partner aus den meisten anderen Ländern, erst einen Deutschtest ablegen müssen.

Man kann übrigens diese Kritik auch formulieren und zugleich fragen, warum sich so viele Deutschtürken im Herkunftsland ihrer Eltern verheiraten.

Erdogan aber ist in dieser Rolle unglaubwürdig. Vor zehn Jahren trat er an, den politischen Islam zu demokratisieren und die Türkei zu einem demokratischen Land zu machen. Doch nach einem positiven Anfang ist der Liberalisierungsprozess ins Stocken geraten, wenn nicht gar rückläufig.

Ob im Kurdenkonflikt, bei der Meinungsfreiheit oder der Situation der Christen in der Türken - in den meisten Punkten ist Erdogan nicht über großspurige Ankündigungen hinausgelangt. Und seit der Entmachtung des kemalistischen Establishments kann er auch nicht länger reformfeindliche Kräfte als Grund dafür vorschieben.

Wie wenig glaubwürdig Erdogan als Anwalt der Menschenrechte ist, zeigt sich auch an seinem Vorwurf, Deutschland unterstütze die PKK. Sinn ergibt diese Anschuldigung nur, wenn man sich vergegenwärtigt, was dieser Vorwurf in der Türkei bedeutet: Der Unterstützung des Terrorismus gilt jeder verdächtig, der die staatliche Kurdenpolitik anprangert; Hunderte Journalisten und Schriftsteller wurden darum angeklagt, ein Dutzend Parteien und Organisationen wurde mit dieser Begründung verboten.

So gesehen macht sich Deutschland zu geringer und nicht zu starker Unterstützung der demokratischen Kurden schuldig.

Erdogan aber hat mit seiner Tirade gegen die Assimilation als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" gezeigt, worum es ihm geht: Nicht die Rechte des Individuums zählen, es zählt die bedingungslose Zugehörigkeit des Einzelnen zu einem Kollektiv, dem "Türkentum", dem Islam, der keinen Austritt aus der Religionsgemeinschaft kennt. Nein, Herr Erdogan, wir gehören nicht zusammen.

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Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

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