Star auf Umwegen

Monica Bleibtreu wohnte in Hamburg in der Langen Reihe – einer Straße, deren Charme noch in den Achtzigern durch Schlampigkeit und Abwehrgesten verdeckt war. Was gut zu der Schauspielerin passte. Erfolg haben, Glanz verstrahlen, das gehörte lange nicht zu den Prioritäten ihrer Karriere, trotz allen Talents. In der Langen Reihe wohnten Alt-68er, vieltrinkende Revoluzzer-Bohemiens; die Bleibtreu, Spross einer österreichischen Schauspielerdynastie, mitten drin. Im „Kommissar“ mit Erik Ode, ganz lange her, spielte sie mal eine jugendliche Ausreißerin; etwas von „Bambule“-Aufbegehren wehte da in die deutschen Wohnzimmer hinein. Die fällige Goldene Kamera holte Monica Bleibtreu noch ab. Dann arbeitete sie aber lieber, auf ganz hohem Niveau, fürs Theater.

Seit den Neunzigern ist die Lange Reihe dann schick erblüht. Was wieder gut passt. Denn seit ihrem Auftritt in „Lola rennt“, in dem auch ihr Sohn Moritz Bleibtreu mitwirkte, ist Monica Bleibtreu doch noch ein Star geworden – jedenfalls so sehr die deutsche Film- und Fernsehspielszene Stars hinkriegt. Sie spielte Rollen von ernsthaft über tragikomisch bis Klamauk. Vor allem aber trug sie entscheidend dazu bei, das Bild älterer Frauen im Kino oder Fernsehen entschlossen von Trutschigkeit zu befreien; etwa als Katja Mann in Heinrich Breloers „Die Manns“ oder als Helene Weigel in Jan Schüttes Film „Abschied – Brechts letzter Sommer“. Für ihre Rolle in „Marias letzte Reise“ erhielt sie 2006 einen Grimmepreis; sie spielt eine krebskranke Bäuerin, die auf eine Chemotherapie verzichtet, um auf ihrem Hof zu sterben. Man muss schon viel Lebenserfahrung mitbringen, um den Gefühlskitsch in so einer Rolle so weit hinter sich lassen zu können wie Monica Bleibtreu. In der Nacht zu Donnerstag ist die 1944 geborene Schauspielerin an Krebs gestorben. DIRK KNIPPHALS