Sie gibt alles für ein Solo

ROCK Sissi Staffa tritt am Freitag bei der Deutschen Luftgitarren-Meisterschaft an. Als einzige Frau

Die Gitarristin: Sissi Staffa, 24, Verkäuferin, kommt aus Brandenburg, lebt in Berlin. Bisher nie bei Luftgitarrenmeisterschaften.

Deutsche Meisterschaft: Am 10. Juli im „Lido“ in Berlin, veranstaltet von der „German Air Guitar Federation“. In der ersten Runde dürfen die KandidatInnen zu einem Stück ihrer Wahl vorspielen, in Runde zwei, der Pflicht, bekommen sie ein Stück vorgesetzt, das sie frei interpretieren müssen. Das Instrument – akustische oder E-Gitarre – muss aus Luft bestehen.

Weltmeisterschaft: Am 21. August 2009 in Oulu, Finnland. Das erklärte Ziel der WM ist der Weltfriede, der erreicht wird, wenn alle Menschen auf der ganzen Welt gemeinsam Luftgitarre spielen. Motto: „Keep On Rockin’ In The Free World“.

VON KIRSTEN KÜPPERS

Vor einem Monat bestellte Sissi Staffa bei einem Erotikversand eine hautfarbene Ganzkörperstrumpfhose. Die Strumpfhose sollte alles auf die Spitze treiben. Sie hätte Staffas Auftritt bei der Deutschen Luftgitarren-Meisterschaft, die am Freitag in Berlin stattfinden wird, einen Witz oben drauf gesetzt. Aber irgendwo muss Schluss sein.

Staffa ist eine junge Frau, 24 Jahre alt, ein bisschen dicklich vielleicht, die dunklen Haare trägt sie kurz geschnitten. Tagsüber arbeitet sie als Verkäuferin. Ansonsten wohnt sie in einer billigen und dämmerigen Parterre-Wohnung in Berlin-Friedrichshain. Aber an diesem besonderen Freitagabend wird Staffa unter ihrem Künstlernamen „Sissi Saussage“ auf die Bühne rauschen, um ihre Luftgitarre zu schwingen. Und – so ging zumindest der Strumpfhosenplan – kostümiert sollte sie auch sein, wie eine blasse Bockwurst. Eine ziemliche Show wäre das geworden, ruft Staffa, haut mit der flachen Hand auf den Tisch und lacht laut und breit – so, dass die Porzellanfigürchen im Regal zu zittern scheinen.

Man kann überhaupt sagen, dass es eine Diskrepanz gibt zwischen Sissi Staffas großformatigen Auftreten als heitere Person und der niedlichen Anmut ihrer wohnlichen Umgebung. Das Zimmer ist sehr schmal, sehr ordentlich und sehr eingerichtet mit Ikea-Möbeln. Es gibt eine Blümchentapete und rosa Ballettschuhe an der Wand, Stoffblumen im Regal und Cola Light im Kühlschrank. Die Strumpfhose vom Erotikversand hängt schlaff an einem Haken neben dem Herd. Was wurde nun eigentlich aus dem Plan, sie anzuziehen?

Als das Paket ankam, war gerade Staffas Mutter aus Brandenburg zu Besuch. Sissi Staffa rannte ins Badezimmer, probierte die Strumpfhose an. Aber die Strumpfhose hatte ein Loch im Schritt und das Nylon war sehr durchsichtig. Mutter und Tochter war schnell klar, dass es ein anderes Kostüm würde werden müssen. „Auweia! Dit ging jaar nich!“ Staffa streckt den Arm aus, zeigt mit dem Finger auf den Nylonschlauch neben dem Herd, und der Lachanfall, der nun kommt, dauert eine Weile.

„Luftgitarre spielen hat so ein Image von Bierbauch und Schwitzen. Dabei ist Schwitzen super! Frauen sollten mehr Mut zur Hässlichkeit haben!“

LUFTGITARRISTIN SISSI STAFFA

Staffa ist bislang die einzige Frau, die antritt bei der diesjährigen Deutschen Luftgitarren-Meisterschaft. Gegen 15 Männer kämpft sie in zwei Runden um den Preis der Jury. Wer gewinnt, darf im August nach Oulu in Finnland zur Weltmeisterschaft fahren, wo die Japaner, die wirklichen Helden der Luftgitarre, dabei sein werden. „Richtige Freaks“, findet Staffa. „Denen würd’ ich’s gern mal zeigen!“

Dabei ist es eher dem Zufall geschuldet, dass Staffa überhaupt bei der Deutschen Meisterschaft mitmacht. Zweimal hat sie Luftgitarrenwettbewerbe moderiert. Sie ist auf der Bühne gestanden und hat Männern zugeguckt, wie sie eine unsichtbare Gitarre umschnallen, sie in den Händen halten wie eine Geliebte. Wie diese Männer beim ersten Ton des Rocksongs, der aus dem Lautsprecher knallt, auf einmal losspringen, die Haare schütteln, auf ihr Instrument einprügeln, mit sich windendem Körper, schmerzverzerrtem Blick, alle Posen. Sissi Staffa hat zugesehen, die Kandidaten aufgerufen, ins Mikrofon gequatscht – denn quatschen, das kann Staffa gut. Rückblickend betrachtet, erzählt sie, zeigte sie das Verhalten einer Außenstehenden.

Bei der Meisterschaft 2008 gab es eine Pause zwischen zwei Auftritten. Plötzlich quatschte Staffa ins Mikrofon: „Ich zeig euch mal, was ’ne Luftgitarre ist.“ Sie hatte keine Zeit mehr, ihrem Satz lange hinterherzuschauen, denn die Musik spielte gleich los. Getrieben von ihrem eiligen Versprechen und der Wucht des Rock ’n’ Roll, schnappte sich Staffa ihre Luftgitarre, sie hatte wirklich das Gefühl, die Saiten zu schlagen, legte sich ins Zeug, schwitzte, sie hatte ein zu enges T-Shirt an, ihr Bauch rutschte raus, ihr fiel ein, dass der Reißverschluss ihrer Hose kaputt war, es war ihr völlig egal, sie weiß nicht mal mehr, von wem die Musik kam, Gary Moore kann es gewesen sein oder Deep Purple oder AC/DC. Sissi Staffa gab eine Minute lang einfach alles für ein besonders hartes und gemeines Gitarrensolo, wahrscheinlich das härteste und gemeinste und beste Gitarrensolo aller Zeiten.

„Einfach geil!“, schnauft Staffa, wenn sie davon berichtet.

Sie schwitzte, rockte, schlug. War es AC/DC? Gary Moore? Sie vergaß sich für dieses harte und gemeine Solo

Hinterher hat der Veranstalter sie gefragt: „Sissi, wat warn dit?“

Danach war klar, dass sie dieses Jahr als Teilnehmerin dabei sein würde. Seit einigen Wochen übt Staffa jetzt abends allein in ihrem Zimmer vor dem Spiegel. Da sie sonst eher „Mädchenmusik“ hört, wie sie sagt, musste sie sich Hardrock-CDs von Freunden leihen. Weil es mit der Ganzkörperstrumpfhose nicht klappt, will sie für ihren Auftritt einen rosa Pettycoat vom Kostümverleih anziehen und sich eine Schleife ins Haar binden. Der Name „Sissi Saussage“ bleibt. „Da stellt sich wenigstens keiner was Liebreizendes vor!“, raunzt sie.

Warum sie die einzige Frau bei der Meisterschaft ist? Staffa hat sich das überlegt, sie erklärt: „Ich glaube, Frauen wollen immer gut aussehen. Luftgitarre spielen hat aber so ein Image von Bierbauch und Schwitzen. Dabei ist Schwitzen super! Frauen sollten mehr Mut zur Hässlichkeit haben!“ Sie guckt auf ihr aufgeräumtes kleines Zimmer und schiebt hinterher: „Wir Luftgitarristen sagen ja: Es geht um die Airness!“