RALPH BOLLMANN POLITIK VON UNTEN
: Reise und herrsche

Die Sommerreisen zeigen: In der Mediendemokratie werden Politiker zu modernen Nomaden

Es waren herrliche, aber auch beschwerliche Zeiten. Seinen Willen konnte der Machthaber nur durchsetzen, indem er „in seinem Herrschaftsbereich an möglichst vielen Orten gegenwärtig ist, dadurch also, dass er reist“. Entschädigt wurde er für die Mühsal mit schmeichelhaften Schauspielen, wie der Historiker Hartmut Boockmann weiter schreibt: „Kommt er in ein Kloster oder in eine Bischofsstadt, so ziehen die Geistlichen ihm feierlich entgegen, sie besingen seine Ankunft mit liturgischen Gesängen, schwenken Weihrauchfässer, entzünden Kerzen und läuten die Glocken.“

Anders als die deutschen Könige des Mittelalters treffen moderne Bundeskanzler oft auf Demonstranten mit selbst gemalten Transparenten. An der nomadischen Existenz des politischen Spitzenpersonals hat sich jedoch erstaunlich wenig verändert. So will Kanzlerin Angela Merkel bis zum 20. August eine „Sommerreise“ zu notleidenden Mittelständlern unternehmen, ganz so, wie sie im letzten Herbst die Bildungsstätten der Republik besuchte.

„Reise“ ist dafür ein merkwürdiges Wort. Zum einen absolvieren die Politiker ihre Visiten nicht am Stück, sondern kehren zwischenzeitlich nach Berlin zurück. Zum anderen besteht ihr Alltag ohnehin aus Reisen, sodass sich der besondere Charakter der Termine kaum erschließt. Denn die Behauptung von Historikern wie Boockmann, in der Moderne seien die Herrscher sesshaft geworden, hält näherer Betrachtung keineswegs stand.

Jedenfalls für die Mediendemokratie der Gegenwart. Der französische Sonnenkönig Ludwig XIV. wäre in der Tat nicht auf die Idee gekommen, seinen Untertanen hinterherzureisen. Erst der Eintritt der Massen in die Politik brachte Herrschende wieder in Bewegung. Paradoxerweise hat die virtuelle Welt der Medien, die physische Bewegung doch eigentlich überflüssig machen sollte, den Trend noch verstärkt: Nur durch Präsenz vor Ort kann der Machthaber jene Bilder produzieren, auf denen seine Wirkung in den Medien beruht.

Durchschnittsreisende klagen gern über verstopfte Autobahnen oder verspätete Züge – und blicken neidvoll auf die Verkehrsmittel, die dem politischen Spitzenpersonal zu Gebote stehen. Sie übersehen dabei, dass die enorme Beschleunigung des Transports aus dem politischen Spitzenpersonal eine Art Frachtgut macht, das nach den Regeln eines fremdbestimmten Terminplans zu festgelegten Uhrzeiten an verschiedenen Orten aus- und eingeladen wird.

Der enge Zusammenhang, der noch heute zwischen politischer Macht und körperlicher Präsenz besteht, erinnert an die mittelalterliche Doktrin von den zwei Körpern des Königs. Helmut Kohl war in der Lage, politische Räume schon durch schiere Masseverdrängung auszufüllen. Die anfänglichen Zweifel gerade im konservativen Lager, ob Merkel einem solchen Amt gewachsen sei, gründeten auf diesem schlichten Umstand. Schon ein Blick auf die schmächtigen Monarchen des Mittelalters hätte aber gezeigt, dass es dabei auf Kubikmeter nicht ankommt.

■ Der Autor leitet das taz-Parlamentsbüro Foto: Archiv