BETTINA GAUS MACHT
: Angst und Bange

Der Feigling Sigmar Gabriel meint im Fall Sarrazin, die Sozialdemokraten für dumm verkaufen zu können

Man kann Thilo Sarrazin jedenfalls nicht vorwerfen, er würde nicht klar und deutlich schreiben, was er denkt und was er will. Sein Buch ist nicht mehr und nicht weniger als die Rechtfertigungsschrift für eine Politik, die zwischen (sozioökonomisch) wertvollem und weniger wertvollem Leben unterscheidet. Eigentlich kann man nur hoffen, dass die lautstarken Befürworter Sarrazins das Buch nicht gelesen haben. Sonst müsste jedem überzeugten Demokraten und aufgeklärten Bürger dieses Landes angst und bange werden.

Ich möchte mich nicht mit fremden Federn schmücken. Im oberen Absatz fehlen Anführungszeichen. Die klaren Worte stammen nicht von mir, sondern vom SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, aus einem Artikel, den er im September in der Zeit veröffentlicht hat. Weiter heißt es darin: „Wer uns empfiehlt, diese Botschaft in unseren Reihen zu dulden, der fordert uns zur Aufgabe all dessen auf, was Sozialdemokratie ausmacht: unser Bild vom freien und zur Emanzipation fähigen Menschen.“

Jetzt hat Sarrazin erklärt: „Sollten Mitglieder der Partei sich in ihrem sozialdemokratischen Verständnis beeinträchtigt fühlen, bedauere ich dies, auch wenn ich meine, dass mein Buch hierzu keine Veranlassung gegeben hat.“ Damit war alles wieder gut, jedenfalls aus Sicht von Gabriel.

Nichts gegen Opportunismus. Einige meiner besten Freunde sind Opportunisten. Aber man sollte wenigstens wissen, ob das eigene Rückgrat stark genug ist, um die Backen aufzublasen. Gabriels fehlende Weitsicht und Selbsterkenntnis, verbunden mit der Überzeugung, die eigenen Leute für dumm verkaufen zu können, muss dazu führen, dass „jedem überzeugten Demokraten angst und bange“ wird.

Wenn es nach der SPD-Spitze geht, darf Sarrazin sich also weiterhin als Sozialdemokrat bezeichnen. Die Affäre Sarrazin ist zu einer Affäre Gabriel geworden. Natürlich war Generalsekretärin Andrea Nahles in der Sache federführend, aber in einer für die Partei so wichtigen Angelegenheit ist die Position des Vorsitzenden gefragt. Er habe sich einen anderen Spruch des Schiedsgerichts gewünscht, sagte er jetzt in einem Interview. Das reicht nicht. Er hat sich entblößt. Einen Bundeskanzler Sigmar Gabriel wird es nicht geben. Nicht wegen Thilo Sarrazin, sondern weil so schnell nicht vergessen wird, wenn jemand so offenkundig Feigheit mit Klugheit verwechselt.

Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz Foto: A. Losier