Gekürter Lehrerversteher

Was ist los in Glasgow? Schottlands heimliche Hauptstadt produziert einen Turner-Preis-Gewinner nach dem anderen. Vor zwei Jahren ging der wichtigste britische Preis für zeitgenössische Kunst an Richard Wright, voriges Jahr war es Susan Philipsz, und vorgestern gewann Martin Boyce.

Der 44-jährige Schotte erhielt den Preis für seine Indoor-Parklandschaft „Do Words Have Voices“. Die Installation aus geraden Linien besteht aus Aluminiumbäumen, einem abgeschrägten Mülleimer, einem Schreibtisch sowie Blättern aus Papier, die am Boden liegen.

Er sei dazu von dem Skulpturengarten der Zwillinge Jan und Joël Martel aus dem Jahr 1925 inspiriert worden, sagt Boyce. In seiner Dankesrede sagte er: „Wenn Bildung in die Mangel genommen wird, ist es wichtig, auf die Bedeutung von Lehrern hinzuweisen.“

Boyce hatte in den späten achtziger Jahren an der Glasgow School of Art studiert. Sein Lehrer war David Harding, der einen neuen Kurs anbot: umgebungsbezogene Kunst. Er fand nicht im Hauptgebäude der Hochschule statt, sondern in einer ehemaligen Mädchenschule. Die Studenten mussten für ihre Kunstprojekte aus der Schule hinausgehen, sie mussten Plätze finden und mit den Eigentümern verhandeln. „Sie hatten eine piratenhafte Einstellung“, sagt Harding.

Seine Unterrichtsmethode ist wohl der Grund dafür, dass Glasgow so viele bedeutende zeitgenössische Künstler hervorgebracht hat. Bei Harding studierten neben Boyce auch Richard Wright, Douglas Gordon, Turner-Preis-Gewinner 1996, Simon Starling, Gewinner im Jahr 2005, sowie mehrere Turner-Preis-Finalisten.

Der Turner-Preis, der dieses Jahr im nordenglischen Gateshead vergeben wurde, ist nach dem britischen Landschaftsmaler William Turner benannt. Die Auszeichnung wird seit 1984 an einen in Großbritannien lebenden Künstler unter 50 Jahren vergeben, was oft von Skandalen begleitet wurde, etwa als Damien Hirst mit seiner zersägten Kuh in Formalin oder Tracey Emin mit ihrem zerwühlten Bett samt schmutziger Unterwäsche gewannen. RALF SOTSCHECK