Koalitionsgipfel der großen Harmonie

REGIEREN Schwarz-gelbe Koalition einigte sich auf einige Reformprojekte, Streitthemen wurden jedoch vermieden

Die Generalsekretäre lobten am Sonntag ihre Beschlüsse in höchsten Tönen

VON ANJA MAIER
UND CHRISTIAN RATH

BERLIN/FREIBURG taz | Die drei Generalsekretäre kriegten sich gar nicht mehr ein vor Freude. Tatsächlich war ihnen etwas gelungen, was politischen Partnern leicht von der Hand gehen sollte: ein harmonischer Koalitionsgipfel. Da aber CDU, CSU und FDP in den letzten Wochen damit befasst waren, sich und einander europa- und innenpolitisch zu blamieren, lobten sie am Sonntagabend die zahlreichen Beschlüsse ihres gemeinsamen Gipfels in den höchsten Tönen.

„Sehr gut und kameradschaftlich“ sei das Klima gewesen, freute sich CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Mit „freundschaftlich“ gar umschrieb CSU-Mann Alexander Dobrindt die Stimmung. Und FDP-Generalsekretär Patrick Döring sprach von „nach vorne gerichteten“ Gesprächen.

Nachdem sich die FDP vor zwei Wochen auf Joachim Gauck als ihren Bundespräsidenten-Kandidaten festgelegt hatte, war das innerkoalitionäre Thermometer unter null gerutscht. Angela Merkel, die sich um den Preis des Bündnisbruchs auf Gauck einlassen musste, schäumte. Und dass anschließend unter den Liberalen von der unausweichlichen Rache der Kanzlerin die Rede war, verdeutlicht nur, wie sehr sich FDP und Union zweieinhalb Jahre nach der Bundestagswahl misstrauen. Da ist ein 15-Seiten-Papier, das die Konsensfähigkeit der Koalition versinnbildlicht, ein willkommenes Trostpflaster.

So sieht das auch die Opposition. Schwarz-Gelb, spottete die Grünen-Parteichefin Claudia Roth am Montag, simuliere Arbeitsfähigkeit. „Da sollte Geschlossenheit vorgespielt werden“, sagte sie. Auch SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sprach von einer „Kuschelrunde“. Tatsächlich kamen Streitthemen wie die Vorratsdatenspeicherung, der flächendeckende Mindestlohn oder das Betreuungsgeld an diesem Sonntagabend nicht zur Sprache. Stattdessen einigte man sich auf Folgendes:

Grundgesetz und Wissenschaft: Bund und Länder sollen in der Hochschulpolitik wieder besser kooperieren können. Der Bund soll nicht nur einzelne Projekte der Länder-Hochschulen unterstützen dürfen, sondern auch ganze „Einrichtungen“, zum Beispiel Universitäten. Hierzu soll das Grundgesetz geändert werden. Die SPD kritisiert das jedoch. „Eine Änderung des Kooperationsverbots ausschließlich für den Wissenschaftsbereich ist mit der SPD nicht zu machen“, sagte SPD-Bildungspolitikerin Ulla Burchardt der taz. Sie will, dass Bund und Länder die gesamte Bildung „als Gemeinschaftsaufgabe finanzieren“.

Sorgerecht: Früher konnten nichtverheiratete Mütter durch ein Veto verhindern, dass der Vater des Kindes mit ihnen das gemeinsame Sorgerecht ausübt. Dies muss aber aus verfassungsrechtlichen Gründen geändert werden. Künftig gilt: Die gemeinsame Sorge ist die Regel. Wenn der Vater die gemeinsame Sorge will, die Mutter aber nicht, entscheidet das Kindeswohl – wobei die Mutter die Beweislast trägt. Wenn die Mutter sich verweigert, kann der Vater das Jugendamt um Vermittlung bitten. Er kann aber auch direkt beim Familiengericht klagen, wo es ein beschleunigtes Verfahren für leichte Fälle gibt.

Urheberrecht: Presseverlage sollen an den Gewinnen gewerblicher Netzdienste wie Suchmaschinen beteiligt werden. Die Leistung der Medien, Nachrichten zusammenzustellen und zu layouten, soll deshalb durch ein einjähriges Leistungsschutzrecht aufgewertet werden. Netzdienste, die unentgeltliche Medienangebote gewerblich nutzen, müssen bald ein Entgelt an eine Verwertungsgesellschaft wie die VG Wort bezahlen, die das Geld dann an die Verlage verteilt. (Siehe auch Medien SEITE 18).

Verlagsfusionen: Das Zusammengehen von Zeitungsverlagen soll erleichtert werden. Das Kartellamt wird eine Fusion von Zeitungen nur prüfen, wenn das neue Unternehmen mehr Umsatz als 62,5 Millionen Euro pro Jahr macht. Bisher lag die Schwelle bei 25 Millionen

Jugendstrafrecht: Wenn ein Jugendtäter eine Bewährungsstrafe erhält, soll daneben noch ein vierwöchiger Warnschussarrest verhängt werden können, um ihm den Ernst des Urteils zu verdeutlichen. Die in der gerichtlichen Praxis entwickelte „Vorbewährung“, bei der die Entscheidung über die Bewährung um Monate hinausgezögert wird, soll gesetzlich abgesichert werden. Die Höchststrafe für Mord soll bei Heranwachsenden (also 18- bis 21-jährigen), die wegen Reifedefiziten nach Jugendstrafrecht verurteilt werden, von 10 auf 15 Jahre angehoben werden.

Kronzeugenregelung: Seit 2009 gilt im Strafgesetzbuch eine Kronzeugenregelung für alle nicht ganz unerheblichen Delikte. Diese soll nun eingeschränkt werden. Zwischen der vom Kronzeugen aufgedeckten Tat und der Tat, für die er angeklagt ist, muss künftig ein Zusammenhang bestehen. Beispiel: Ein Vergewaltiger soll keinen Kronzeugenrabatt bekommen, wenn er Steuerhinterziehungen verpfeift.

Pressefreiheit: Wer als Journalist geheimes Material entgegennimmt, auswertet und veröffentlicht, soll sich nicht mehr wegen „Beihilfe zum Geheimnisverrat“ strafbar machen. Das sieht ein Gesetzentwurf der Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) vor. Den Grünen geht die Reform nicht weit genug. Sie wollen, dass auch die „Anstiftung“ zum Geheimnisverrat für Journalisten straflos sein soll, sonst würden die Durchsuchungen von Redaktionen nicht aufhören, sondern nur anders begründet.

Suizidhilfe: Die Koalition will die „gewerbsmäßige Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung“ unter Strafe stellen. Damit sollen zum Beispiel Vereine wie Dignitate getroffen werden, die Kontakte zu entsprechenden Partnerorganisationen in der Schweiz vermitteln. Das Verbot dürfte aber ins Leere gehen, weil solche Vereine keine Profite machen und deshalb nicht „gewerbsmäßig“ handeln.

Demografiestrategie: Die Bundesregierung will ein Konzept erarbeiten, das u. a. Folgendes enthält: Die Arbeitszeit soll flexibler über die Lebenszeit verteilt werden können, um Familien- und Pflegeaufgaben besser wahrnehmen zu können. Strukturschwache Regionen, die besonders vom demografischen Wandel betroffen sind, soll u. a. mit Ärzten und Breitband-Internetversorgung geholfen werden.

Energiewende: Mit zahlreichen Maßnahmen will die Koalition die Netze ausbauen, erneuerbare Energieen fördern und die Energieeffizienz steigern. So sollen die Mittel zur Gebäudesanierung auf 1,5 Mrd. Euro für die Jahre 2012–2014 aufgestockt werden. An der Kürzung der Solar-Förderung wird festgehalten.

Anlegerschutz: Die Stiftung Warentest soll ihre Beratungstätigkeit über Finanzprodukte ausweiten und erhält zusätzlich 1,5 Millionen Euro pro Jahr.

Kartellrecht: Wenn ein Unternehmen seine Größe zur Behinderung des Wettbewerbs nutzt, kann es künftig zwangsweise entflochten werden. Eine derartige Regelung soll im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen aufgenommen werden. Ansonsten wird das Gesetz an europäische Regelungen angepasst.

Mitarbeit: Anna Lehmann

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