Nase voll von der Unfähigkeit des Staates

PUTSCH In Mali setzten Militärs den Präsidenten ab, weil sie ihm Versagen im Kampf gegen Rebellen vorwerfen

■ Die Republik Mali ist mit rund 1.240000 Quadratkilometern gut dreimal so groß wie die Bunderepublik Deutschland.

■ Bis 1957 war das afrikanische Land eine Kolonie Frankreichs.

■ Im Norden bedeckt die Wüste Sahara zwei Drittel der Fläche. Den Süden prägen Feucht- und Dornbuschsavannen. Dort werden u. a. Erdnüsse, Mais und Hirse angebaut. Hinzu kommen Bananen und Baumwolle für den Export.

■ Mali hat zwischen 14 und 16 Millionen EinwohnerInnen.

■ Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von ca. 450 Euro pro Jahr gehört es zu den ärmsten Länder der Welt. Die Lebenserwartung beträgt 51,4 Jahre, 178 von 1.000 Kindern sterben, bevor sie das fünfte Lebensjahr erreicht haben.

■ Bodenschätze wie Bauxit, Eisenerz oder Gold sind kaum erschlossen. (rr)

VON DOMINIC JOHNSON

BERLIN taz | In Mali haben unzufriedene Soldaten gegen Präsidenten und Regierung geputscht. Nach heftigen Schusswechseln in der Hauptstadt Bamako am Mittwochabend und der anschließenden Besetzung des Präsidentenpalasts trat am Donnerstagmorgen ein Armeeleutnant namens Amadou Konaré umgeben von weiteren Uniformierten im staatlichen Fernsehen auf und erklärte Staatsoberhaupt Amadou Toumani Touré für abgesetzt.

Ein von Konaré geführtes „Nationalkomitee zur Aufrechterhaltung der Demokratie und zur Wiederherstellung des Staates“ (CNRDRE) habe „seine Verantwortung wahrgenommen“ und die Macht übernommen, hieß es weiter. Wenig später verhängte die Junta in einer zweiten Erklärung eine Ausgangssperre. Nachrichtenagenturen berichten, zu dieser Zeit seien in der Hauptstadt Schüsse zu hören gewesen.

Das Schicksal von Präsident Touré, den in Mali und Afrika alle kurz „ATT“ nennen, war bis Redaktionsschluss unklar. Unbestätigten Medienberichten zufolge ist der 63-jährige ehemalige General in die US-Botschaft von Bamako geflohen. Ebenfalls unbestätigt blieb die Information, Touré habe sich nicht im Präsidentenpalast aufgehalten, als dieser trotz heftiger Gegenwehr seitens der Präsidialgarde in der Nacht zum Donnerstag in die Hände der Meuterer fiel. Nachrichtenagenturen berichteten auch, dass die meuternden Soldaten den Präsidentenpalast geplündert haben.

Außenminister Soumeylou Boubèye Maïga und andere Regierungsmitglieder befinden sich nach Angaben der Putschisten in Haft. Deren neu gebildete Junta erklärte, sie sei in Aktion getreten, weil die alte Regierung Mali nicht gegen bewaffnete Rebellen der Tuareg-Ethnie und islamistische Terroristen geschützt habe, die im Norden des Landes immer mehr Menschen zur Flucht zwingen. Ziel des Putsches sei nicht etwa, selbst an der Macht bleiben, sondern die Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit.

Die Verkündung des Putsches war eigentlich schon für den späten Mittwochabend geplant gewesen. Da aber die Technik des staatlichen Fernsehens während der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag nicht funktionierte, blieb in Bamako die ganze Nacht lang unklar, was eigentlich los war. Sicher scheint, dass die Meuterer vor der Besetzung des Präsidentenpalast schießend durch die Straßen von Bamako liefen und erklärten, sie wollten Waffen und Munition, um gegen die Rebellen kämpfen zu können. Man habe die Nase voll von der Unfähigkeit des Staates, hieß es.

Auch Algerien und Mauretanien beschuldigen Touré, Al-QaidaKämpfer zu dulden

Dass Malis Armee, der der Präsident entstammt, nicht in der Lage ist, das Staatsgebiet gegen ein paar hundert Bewaffnete in der Tuareg-Rebellenarmee MNLA (Nationalbefreiung zur Befreiung von „Azawad“, Tuareg für Nordmali) und den Islamisten der al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQMI) zu verteidigen, weckt bei ATTs Gegnern immer wieder den Verdacht, der Präsident selbst stütze die Revolte. Schon in vergangenen Jahren wurde Touré immer wieder von Algerien und Mauretanien beschuldigt, die Präsenz von AQMI-Kämpfern in Mali zu dulden. „Die MNLA ist auf Anweisung des Präsidenten einmarschiert“, behauptet etwa in ihrer Donnerstagsausgabe die malische Tageszeitung Le Matin. In einem Kommentar, der sich wie eine Vorlage zum Putsch liest, wirft das Blatt dem Präsidenten vor, sich mit der Rekrutierung von Arbeitslosen als Soldaten zu begnügen, die dann nicht vernünftig ausgebildet würden. Es gebe nicht einmal genug Soldaten, die Autos fahren könnten, von Piloten ganz zu schweigen. Auch könne man den Generalstab von der Front aus nicht telefonisch erreichen. Die Bekämpfung der Rebellen sei vor allem die Sache einer Handvoll auf sich gestellter Offiziere. Daher würden zunehmend lokale Selbstverteidigungsmilizen aktiv werden.

Tatsächlich haben Ausschreitungen gegen Tuareg, Demonstrationen zorniger Angehöriger von Soldaten und die Flucht von knapp 200.000 Menschen inner- und außerhalb des Landes in den vergangenen Wochen immer wieder den Eindruck erweckt, Mali stünde kurz vor dem Zusammenbruch. Letzte Woche fiel die Garnisonsstadt Tessalit in die Hand der Rebellen. In der Stadt Gao demonstrierten daraufhin wütende Jugendliche gegen die „Teilung Malis“.

Am Montag gab die MNLA bekannt, 28 gewählte Amtsträger und hochrangige Soldaten hätten sich der Rebellion angeschlossen, weil sie „die Massaker der Armee an der friedlichen Bevölkerung von Azawad“ nicht mehr mit ansehen könnten. Sie veröffentlichte die Namensliste auf ihrer Webseite und sagte, viele weitere Namen würden folgen. Das erzeugte im Militär wohl den Eindruck, die Rebellion habe den Staat so weit infiltriert, dass man zum Handeln gezwungen sei.