Steuerhinterziehung in Deutschland: Im Land der Trickser

Hoeneß und 25.000 andere Steuerhinterzieher überweisen nach der Selbstanzeige ein Taschengeld. 50 bis 60 Milliarden Euro fehlen in der Staatskasse.

Dicker Brummer oder kleiner Fisch? Bild: dpa

BERLIN taz | Für den deutschen Staat war es lukrativ, dass Uli Hoeneß als Schwarzgeld-Spekulant bundesweit für Schlagzeilen sorgte: 25.000 panische Steuersünder haben sich anschließend bei den Finanzämtern gemeldet, um einer Strafe zu entgehen. Seit 2010, als die erste Steuer-CD aufgekauft wurde, sind sogar schon mehr als 60.000 Selbstanzeigen eingegangen. Rund 3,5 Milliarden Euro hat der Fiskus damit eingenommen.

3,5 Milliarden Euro – das klingt zunächst viel. Doch umgerechnet pro Jahr sind es nur etwa 1 Milliarde. Für den Staat ist das nicht mehr als ein Taschengeld, denn die gesamten Steuereinnahmen dürften 2014 bei etwa 640 Milliarden Euro liegen.

Die öffentliche Erregung über Hoeneß ist berechtigt, aber gleichzeitig verdeckt sie, dass die eigentliche Steuerhinterziehung gar nicht im Ausland stattfindet – sondern zu Hause. Deutschland selbst ist eine gigantische Steueroase für die Privilegierten und die Unternehmen.

Durch kriminelle Steuerhinterziehung gehen dem deutschen Staat jährlich etwa 50 bis 60 Milliarden Euro verloren, wie die Steuergewerkschaft schätzt. „Genau kann das natürlich keiner verifizieren“, sagt ihr Chef Thomas Eigenthaler. Aber er geht davon aus, dass bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer 30 Milliarden hinterzogen werden und bei der Mehrwertsteuer noch einmal 20 bis 25 Milliarden.

Berühmt-berüchtigt ist etwa der Trick, fingierte Rechnungen auszustellen – um sich vom Finanzamt Mehrwertsteuer zurückerstatten zu lassen, die man nie gezahlt hat. Getrickst wird überall: So hat der Bundesrechnungshof etwa kürzlich moniert, dass Vermieter oft „unschlüssige Angaben“ zu den Nebenkosten ihrer Mieter machen würden.

Verlust- und Gewinnschieberei

Neben diesem kriminellen Steuerbetrug gibt es aber auch die legale „Steuerplanung“, die vor allem Großkonzerne betreiben. Eigenthaler schätzt, dass diese Steuergestaltung den Staat weitere 50 bis 60 Milliarden Euro im Jahr kostet.

Der Trick ist stets der gleiche: Die Firmen schieben ihre Gewinne in Länder, wo die Steuersätze niedriger sind. Sie gründen gezielt Töchter im Ausland, die dann der deutschen Mutter Kredite gewähren oder Lizenzgebühren in Rechnung stellen. So fallen in Deutschland Kosten an, während die Gewinne über die Grenze verschwinden.

Auch schön: Die Mutterfirma beliefert die Tochter im Ausland mit Waren – und berechnet überhöhte Preise. „Stellen Sie sich vor, eine deutsche Firma schickt Motoren an ihre Tochter in China. Kein Finanzbeamter kann beurteilen, wie teuer dieser Motor ist“, klagt Eigenthaler. „Wir haben doch keine Ausbildung in Motorenkalkulation absolviert.“

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat kürzlich versucht zu berechnen, wie hoch die „Steuerlücke“ ist, von der die Unternehmen profitieren. DIW-Steuerexperte Stefan Bach kam zu dem Ergebnis: „Die Firmen sparen rund 28 Milliarden Euro, indem sie ihre Gewinne kleinrechnen.“

1,9 Prozent Steuerlast

Deutschland ist allerdings nicht allein mit diesem Problem. Legendär wurde der Fall Apple: Der amerikanische Konzern zahlt außerhalb der USA nur ganze 1,9 Prozent Steuern auf seine gigantischen Milliardengewinne. Faktisch steuerfrei operieren auch Starbucks, Google oder Amazon.

Doch nicht nur die legalen Steuertricks machen Deutschland zu einer Steueroase für Reiche: Die Finanzämter kontrollieren viel zu selten. Ein mittelgroßer Betrieb muss nur alle 15 bis 16 Jahre damit rechnen, dass ein Steuerprüfer vorbeikommt. „Keiner weiß, wie viel Geld dem Staat dadurch entgeht“, sagt Eigenthaler. Er schätzt, dass in den Finanzämtern etwa 20 Prozent des nötigen Personals fehlen. Auch die Rechnungshöfe mahnen regelmäßig, dass mehr Betriebsprüfer und Steuerfahnder eingestellt werden müssten.

Aber selbst wenn das Finanzamt kontrolliert, sind die Beamten oft unterlegen. „Das ist ein Kampf zwischen David und Goliath“, beschreibt Eigenthaler die Gefechtslage bei einer Betriebsprüfung.

Optisches Ungleichgewicht

Die großen Unternehmen haben eigene Steuerabteilungen und beschäftigen zudem externe Experten und Wirtschaftsprüfer, um ihre Steuerlast zu mindern. Dieser Phalanx sitzt oft nur ein einzelner Betriebsprüfer gegenüber. „Das ist schon optisch ein Ungleichgewicht.“ Eigenthaler vermisst die Gerechtigkeit: „Rentner werden elektronisch auf Euro und Cent besteuert, aber große Unternehmen können sich entziehen.“

Dabei wären manche Maßnahmen von Deutschland auch im Alleingang umzusetzen. „Wir haben noch nicht einmal eine vernünftige Statistik der Steuerbilanzen von Unternehmen. Da sind andere Länder weiter“, klagt Steuerexperte Bach. „Bei Abschreibungen, Rückstellungen oder Lizenzen stochern wir hier im Nebel.“

Auch könnte man vorschreiben, dass die Unternehmen in ihren Geschäftsberichten genau aufschlüsseln müssen, wo sie welche Gewinne erzielen und wie viel Steuern sie darauf zahlen. Da würde schnell auffallen, wenn Milliardengewinne in Dependancen anfallen, die nur wenige Mitarbeiter beschäftigen.

Zudem könnte man es den Firmen erschweren, Abteilungen ins Ausland zu verschieben, um Steuern zu sparen. Diese „Funktionsverlagerung“ wollte die SPD beschränken, drang damit aber in den Koalitionsverhandlungen nicht durch. „Das hätte als Steuererhöhung gegolten“, erklärt SPD-Finanzexperte Lothar Binding frustriert. „Und Steuererhöhungen hat die Union kategorisch ausgeschlossen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.