Auf eigene Rechnung

GRÜNE Vergeblich haben die Grünen versucht, eine gemeinsame Asylpolitik im Bundesrat zu formulieren. Nun keimen Zweifel an der Bund-Länder-Strategie. Sollten sich Partei und Fraktion von Länderfürsten wie Kretschmann emanzipieren?

VON ASTRID GEISLER

Der Anlass ist feierlich, die Grünen in Rheinland-Pfalz dürfen sich zum 35. Geburtstag gratulieren. Der Festredner Jürgen Trittin aber belässt es nicht beim nostalgischen Blick zurück. Der Weg von der APO in die Regierung bringe zwangsläufig schwierige Entscheidungen mit, erläutert der VIP-Gast. Dann kommt er zu einer Frage, die seine Partei umtreibt, seit Winfried Kretschmann als grüner Ministerpräsident Baden-Württembergs den umstrittenen Asylkompromiss mit der Großen Koalition möglich machte – gegen die Stimmen sechs anderer grün-mitregierter Länder. War dieser Alleingang richtig? Vor allem aber: Was folgt daraus für die Partei?

Das Meinungsbild unter Spitzen-Grünen ist unübersichtlich, die Stimmung geladen. Trittin selbst hatte noch kurz vor der Bundesratssitzung vergeblich vor einem Kompromiss gewarnt, der die „nicht akzeptable Menschenrechtssituation“ in Bosnien, Serbien und Mazedonien „für nicht existent erklärt“. Nun aber zu behaupten, Baden-Württemberg habe besondere realpolitische Verantwortung gezeigt, während die anderen aus bloßer Gesinnung entschieden hätten – Trittin findet das bodenlos. Realpolitik, sagt er, wäre es gewesen, den Ländern mehr Geld für eine anständige Versorgung der Flüchtlinge zu geben.

Zwei Wochen geht es nun schon hin und her zwischen Hauptstadt und Landesebene. Der grüne Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn attestierte der Grünen-Spitze in Berlin „Führungsversagen“. Die Bundespartei solle sich „mal überlegen, warum eigentlich die baden-württembergischen Grünen so erfolgreich sind“, richtete er via Regionalpresse aus. Freiburgs grüner Oberbürgermeister Dieter Salomon lobte, in Baden-Württemberg trage man „nicht nur ideologisch und theoretisch, sondern ganz pragmatisch Verantwortung“. Er habe nur den Eindruck, dass weder Partei- noch Fraktionsspitze in Berlin wüssten, wo sie mit den Grünen hinwollten. Aus Berlin kantete Fraktionschef Anton Hofreiter zurück, es sei „nicht akzeptabel, wenn nun die Bundesspitze für die Uneinigkeit unter den Ländern verantwortlich gemacht wird“. Landesgrüne könnten nicht die gesamte Partei als „ideologisch diskreditieren“.

Die Grünen-Spitze allerdings muss sich fragen, was nun aus ihrer Bund-Länder-Strategie werden soll. Seit dem Misserfolg bei der Bundestagswahl betonten Spitzen-Grüne gern, wie stark ihre Partei über den Bundesrat nach wie vor sei – schließlich säßen die Grünen zwar nicht in der Bundesregierung, könnten aber bei Bedarf dank ihrer grünen Länder-Vetomacht die Große Koalition auflaufen lassen. Beim Asylkompromiss allerdings kam es anders. Der Keil, den die Grünen in die schwarz-rote Regierungspolitik treiben wollten, spaltete sie krachend selbst.

Grünen-Chefin Simone Peter gab noch Anfang der Woche die Parole aus, die Parteispitze setze dennoch weiter auf die Länder-Macht. Die parteiinternen Abstimmungsprozesse müssten so organisiert werden, dass ein geschlossenes Auftreten im Bundesrat erreicht werde. „Ich bin da eigentlich ganz zuversichtlich, dass wir einen gemeinsamen Weg finden.“

Fraktionschef Anton Hofreiter warnt nach der Erfahrung mit dem Asylkompromiss jedoch: „Wir können unsere Oppositionsarbeit auf Bundesebene nicht von einzelnen Länderinteressen abhängig machen, auch nicht von denen eines Ministerpräsidenten.“ Ein Regierungschef wie Kretschmann müsse manchmal einfach anders agieren als eine Bundespartei in der Opposition, argumentierte er in der Süddeutschen Zeitung.

Aus dem Bundestag bekommt er dafür Unterstützung. Gerhard Schick, Finanzexperte aus dem linken Flügel, selbst Baden-Württemberger und Unterzeichner eines Onlineappells gegen den Asylkompromiss, weist die Attacken aus seinem Bundesland gegen das Berliner Führungsquartett zurück. „Es war kein Führungsversagen der Fraktionsspitze“, sagt der Abgeordnete. Die Fraktionsführung habe im Gegenteil gute Arbeit gemacht. Die Idee der kollektiven strategischen Stärke über die Länder hält er aber für zwiespältig. „Klar geht es auch im Bundesrat darum, gemeinsam grüne Politik durchzusetzen“, sagt er. Es sei aber falsch, Erwartungen zu wecken, die keiner erfüllen könne. Natürlich spielten die Länder strategisch eine zentrale Rolle für die Grünen, argumentiert Schick – aber eine grundlegend andere als der Bund. „Die Länder zeigen: Grüne können regieren und gemeinsam wichtige grüne Punkte in der praktischen Politik setzen.“ Nur sei das beim Asylkompromiss nicht gelungen.

„Die grünen Länder waren nie ein einheitlicher Block“, erinnert die Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger. Ihr Plädoyer: Die Partei sollte die Bundesratskarte künftig vorsichtiger einsetzen und bei ihrer Oppositionsarbeit im Bund „Profil zeigen und nicht zu viel Rücksicht auf die Interessen einzelner Landesregierungen nehmen“ – sondern bei Konflikten transparent mit den unterschiedlichen Perspektiven umgehen.

Auch Landes-Grüne treten inzwischen auf die Bremse. „Einzelne Länder werden auch in Zukunft sicher nicht immer so abstimmen, wie es ein Parteitagsbeschluss vorsieht“, sagt etwa Sven Lehmann, grüner Landeschef aus NRW. Diese Differenzen könne selbst die beste innerparteiliche Abstimmung nicht beseitigen: „Wir haben doch längst zahllose Runden, wo wir uns intensiv koordinieren.“ Wichtiger sei es, das Bewusstsein für die unterschiedlichen Rollen zu schärfen.

Ein neuer, gravierender Richtungskonflikt zwischen Regierungsgrünen in den Ländern und Oppositionspolitikern im Bund zeichnet sich schon ab. Warum gehe seine Partei „so defensiv“ an TTIP ran, „mit so einer Abwehrhaltung?“, beklagte Kretschmann gerade in der Zeit. „Da muss man doch offen reingehen, das gestalten.“ Der Ministerpräsident will schließlich auch die Wirtschaftsinteressen in Baden-Württemberg vertreten. Die Grünen-Opposition im Bundestag allerdings bringt sich seit Monaten mit Verve gegen die transatlantischen Freihandelsabkommen Ceta und TTIP in Stellung. Die Kritik daran ist für sie ein wichtiges Profilierungsfeld. Nun müssen sich die Grünen-Strategen klar werden, welche Erwartungen sie diesmal bei ihrer Basis und den Wählern wecken wollen. Mit Versprechen wie „Wir werden TTIP nicht zustimmen“ könnte es am Ende jedenfalls schwierig werden.