STADTGESPRÄCH
: Zu hübsch für Lehrer

SCHÜLERINNEN WEHREN SICH GEGEN DAS VERBOT, MIT KURZEN HOSEN IN DIE SCHULE ZU KOMMEN

Die heißesten Monate stehen noch aus, aber schon steigen die Temperaturen an manchen Tagen auf über 40 Grad. Nur raus aus den engen Jeans, so lautet die Devise bei Israels weltlicher Jugend, und hinein in die Shorts, die gar nicht kurz genug sein können. Den Jungen und Mädchen jedenfalls, während die Lehrer das sommerliche Outfit ihrer Schülerinnen mit gemischten Gefühlen betrachten.„Es gibt hier einige männliche Lehrer, die deine hübschen Beine nicht sehen wollen“, zitiert eine Oberschülerin ihren Direktor, der das Mädchen gleich wieder nach Hause schickte mit dem Auftrag, die Shorts durch ein keuscheres Modell zu ersetzen. Von Handy-Konfiszierung, Telefonaten mit den Eltern und temporärem Schulverweis berichten die jungen Mädchen aus Schulen im ganzen Land. Ohne sich abzusprechen, starteten sie ganz spontan den „Protest der kurzen Hosen“ mit Plakaten, Unterrichtsverweigerung und Internetkampagnen. Am nächsten Wochenende wird vor dem Erziehungsministerium demonstriert. „Eine Lektion in Gleichberechtigung“ wollen junge Israelis beider Geschlechter den Schulen erteilen.

„Ihr müsst nicht uns erklären, dass wir uns schämen sollen, sondern denen, sich zu beherrschen“, steht auf einem Plakat der protestierenden Schülerinnen. Und: „Du bist das Sexobjekt in den Augen derer, die die Welt beherrschen.“ Wer ist Schuld an sexueller Gewalt? Es ist mein Körper, sagen die Mädchen. Sie muss dürfen, was er darf, und für Vergewaltigungen verantwortlich ist allein der Vergewaltiger.

Der nationale Elternverband solidarisiert sich mit dem Protest der Töchter, in der Knesset grübeln Abgeordnete über ein angemessenes Vorgehen. Ist Israel auf dem halben Weg nach Teheran oder mangelt es den Mädchen mit kurzen Hosen nur an Bewusstsein für die eigene Unterdrückung durch Film und Werbung? „Die provokative Sexualität“, schreibt die Kolumnistin der liberalen Ha’aretz, Caroline Landsmann, „führt genauso wenig zur Emanzipation der Frau wie Essstörungen zur Befreiung vom Diktat der Schlankheitsideale.“ Zwei Entwicklungen laufen gleichzeitig – in entgegengesetzte Richtungen. Im Mai gab es den ersten israelischen Slutwalk mitten durch Jerusalem. Oben ohne ist nicht einmal an den Stränden Israels üblich, nun wagten sich die entblößten Frauen aus Protest gegen sexuelle Gewalt in die „ewig jüdische Hauptstadt“. Tel Avivs Rathaus wirbt mit „Asiens bisher größter Gay-Pride-Parade“. 180.000 Leute erwartet die Stadt für das nächste Wochenende, inklusive Stargast Conchita Wurst.

Gleichzeitig wird das Land frommer. Die orthodoxen Familien sind kinderreich. Im Jahr 2060, so berichtet Ha’aretz, werden „50 Prozent der Juden in Israel Charedim sein“, also Ultraorthodoxe, die nicht zur Armee gehen wollen, die das Studium in den Talmudschulen jeder produktiven Arbeit vorziehen und die bisweilen Frauen auf der Straße anpöbeln, weil sie „nicht keusch genug“ gekleidet sind.

„Es gibt einen Unterschied zwischen Mädchen und Jungen“, zitiert eine protestierende Schülerin ihren Direktor. „Was für Jungen respektabel ist, muss bei Mädchen nicht unbedingt so sein.“ Die allgemeine Regelung ist, dass die kurzen Hosen bis zur Mitte der Oberschenkel reichen. „Aber nur bei den Mädchen wird nachgemessen!“, schimpft sie. Ein einheitlicher Dresscode muss her, fordert sie, egal, ob die Hose bis zum Knie oder Knöchel reicht. Illusorisch, polemisiert Shmuel Rosner im Jewish Journal. „Kein Junge würde willkommen geheißen werden, trüge er einen Rock.“ Die ganze Debatte sei ohnehin überflüssig, so meint ein TalkBack, wenn die Geschlechter getrennt lernen würden. Schon von früher Jugend an sollte deshalb der Nachwuchs auf reine Mädchen- oder reine Jungenschulen geschickt werden.

SUSANNE KNAUL AUS JERUSALEM