Siedler widersetzen sich der Räumung

In der Stadt Hebron im Westjordanland gibt es seit Tagen Auseinandersetzungen mit der israelischen Polizei. Sie will neun radikale jüdische Familien zwangsevakuieren, nachdem zuvor ein palästinensisches Geschäft in Brand gesteckt wurde

AUS HEBRON SUSANNE KNAUL

Hunderte rote Knöpfe liegen auf der Erde vor der abgebrannten kleinen Boutique am Markt von Hebron, ein rosaroter Baby-Strampler noch am Plastikbügel, dazwischen Scherben und halb verbrannte Pappkartons. „Besetzt“ steht in schwarzen hebräischen Buchstaben an das Haus gekritzelt, das offenbar zu den letzten gehörte, in denen noch Handel getrieben wurde.

Letzte Woche steckte eine Gruppe junger Juden aus der benachbarten Minisiedlung „Awraham Awinu“ ( „Abraham unser Vater“) den Laden in Brand. Seither kommt die Region nicht zur Ruhe. Hunderte israelische Polizisten und Soldaten umlagern eine Hand voll Familien in der Siedlung, die im Grunde nur aus einem mehrstöckigen Neubau besteht. Drei benachbarte arabische Häuser, die die Siedler vor wenigen Jahren besetzten, sollen bis Mitte Februar geräumt werden. Eine Strafmaßnahme für den in Brand gesetzten Laden.

„Gusch Katif war nichts gegen das, was hier zu erwarten ist“, meint David Wilder, ein Sprecher der Siedlung, in Anspielung auf die Räumung im Gaza-Streifen. Der kleingewachsene grauhaarige Mittfünfziger trägt eine Kipa auf dem Kopf und rennt aufgeregt auf eine Gruppe berittener und behelmter Polizisten zu, um sie zu fotografieren. „Wir werden sie (die Sicherheitsleute) nicht mit Küssen und Umarmungen in Empfang nehmen“, wie es die Siedler im Gaza-Streifen getan hätten. Was anders sein wird, will er nicht sagen, nur dass keine Waffen eingesetzt werden sollen.

Seit gestern ist die Gegend militärische Sperrzone. Wer kein Anwohner ist, dem droht die Verhaftung. Die Polizei errichtete Straßensperren. Mehrere junge Aktivisten wurden kurzfristig festgenommen und aus der Stadt entfernt. Die Atmosphäre ist angespannt. Vermummte Siedler stehen einem Aufgebot an Uniformierten gegenüber, das um ein Vielfaches die Zahl der Zivilisten übertrifft. Die Jugendlichen genießen sichtlich das Katz-und-Maus-Spiel mit den Polizisten. Sie verstecken sich hinter Mauervorsprüngen oder in den Nischen der alten arabischen Häuser.

„Ich fordere euch auf, das Gebäude innerhalb der nächsten drei Minuten zu verlassen“, ruft ein Polizist in das Megaphon, doch die Pfiffe und Schreie der Siedler übertönen ihn. Als die Polizisten das Haus betreten, schüttet ein junges Mädchen kaltes Wasser auf die Uniformierten, doch die meisten Jugendlichen lassen sich friedlich aus dem Haus drängen. Zwei Minuten später haben die Sicherheitsleute das Dach besetzt und für eine Weile entspannt sich die Lage.

Kaum 500 Juden leben in den über mehrere Straßen verteilten Kleinstsiedlungen von Hebron unter 120.000 Palästinensern. Sie gehören zu den ideologischen „Hardlinern“ der Siedlerbewegung. Baruch Goldstein, der im Februar 1994 sein Maschinengewehr auf die in der Ibrahim-Moschee betenden Muslime richtete und 30 Menschen tötete, gilt als Held unter den Siedlern, die in unmittelbarer Nähe zum Grab des Stammvaters Abraham leben. Der ehemalige Premierminister Jitzhak Rabin verpasste damals die Chance, die Siedler aus der Stadt zu holen. Eine Entscheidung, für die er nach dem Massaker eine Mehrheit im Parlament bekommen hätte.

„Hep, hep, hep, vorwärts Eichmann, vorwärts Stalin“, ruft eine Frau um die 70 mit zwei Einkaufstaschen in der Hand im Hof von „Awraham Avinu“. „So ein Anblick ist für Juden nichts Neues“, sagt sie, „das gab es in Europa und in der Ukraine.“ Neben ihr steht eine jüngere Frau mit Baby im Arm und wendet sich schimpfend den Polizisten zu, ob sie sich für ihren Einsatz nicht schämten. Das sind ähnliche Töne, wie bei der Evakuierung der Siedlungen im Gaza-Streifen.

Vorerst droht neun Familien der Zwangsumzug. Sie waren vor fünf Jahren in die verlassenen palästinensischen Wohnungen gezogen, nachdem das zehn Monate alte Baby Schalhewet von Palästinensern erschossen worden war. Mit der Besetzung der Häuser sollte ein neues Viertel mit dem Namen des toten Babys errichtet werden. Die Häuser grenzen mit ihrer Rückseite an den palästinensischen Markt, von dem nicht mehr übrig ist, als ein paar leer geräumte Lädchen, Schutt und ein einsamer Esel, an dem mal ein flüchtender jüdischer Siedler, mal ein israelischer Polizist vorbeirennt, ohne dass es ihn zu stören scheint.