nebensachen aus dem italienischen wahlkreis europa
: Lieber Silvio Berlusconi

Vielen Dank für deinen Brief! Du hast dir die Mühe gemacht, allen Italienern zu schreiben, die nicht in Italien wohnen. Um uns zu erinnern, wen wir wählen müssen. Die Prodi-Regierung hat dem Ansehen Italiens geschadet durch die Müllberge in Neapel, schreibst du. Wäre das nötig gewesen, bester Freund? Wir wissen doch, was wir an dir haben. Es wird Zeit, dass du das Bild Italiens im Ausland wieder aufmöbelst. Wie damals, als du noch Regierungschef warst.

Erinnerst du dich? Du hast ein Gesetz erlassen, durch das die obersten Staatsrepräsentanten verschont bleiben durch Strafverfolgung – also auch du. Die Verjährungsfrist für Strafverfolgung hast du herabgesetzt. So hattest du auch nach deiner Amtszeit Ruhe. Du hast Fernsehmacher, die dir unangenehm waren, aus dem staatlichen TV geworfen. Du hast Bilanzfälscher entkriminalisiert. Du hast dein Vermögen vermehrt. Und die Staatsverschuldung gleich mit.

Jetzt, kurz vor deinem möglichen Comeback, scheinst du wieder fit zu sein. Du hast das Wahlprogramm der Gegner vor laufender Kamera zerrissen. Du willst die Staatsanwälte regelmäßig untersuchen lassen auf ihre psychische Gesundheit hin. Einer jungen Frau mit prekärem Arbeitsverhältnis hast du empfohlen, sich einen Millionär wie deinen Sohn zu suchen. Ach Silvio, du alter Schelm, ganz der Alte! Wir wissen, was du im Schilde führst: Du bist gerade dabei, das Ansehen Italiens zu verbessern. Und dann findest du noch Zeit, uns Auslandsitalienern zu schreiben.

Aber ich muss dir auch von etwas schreiben, das uns Auslandsitaliener seit einiger Zeit bedrückt. Es ist wie ein Albtraum. Diese Frage, immer wieder dieselbe, von den Nichtitalienern! Nach dir. Aber sie erkundigen sich nicht nach deinem Wohlbefinden. Sie wollen wissen, warum du in den Wahlumfragen führst. Was soll ich ihnen antworten? Vielleicht: „Warum nicht?“ Es ist schwierig, ihnen das alles zu erklären. Ihnen dich zu erklären. Kann man dich erklären?

Nein. Du bist ja für die Italiener kein Politiker, sondern ein Symbol. Ein Macher, der weiß, wie man zu Geld kommt. Die altrömische Sitte des Klientelwesens, fest verankert im italienischen Bewusstsein: Du weißt sie zu würdigen und lebst sie vor. Du zeigst uns die Regeln, wie man zu etwas kommt, indem man sein Freundesnetz entsprechend webt. Und indem man die richtige Währung einsetzt: Geschenke, Versprechen, Gefälligkeiten. Silvio, du beginnst deinen Brief mit „Lieber Freund“, denn du weißt, wie wichtig Freundschaft ist, um es im Leben zu was zu bringen. Du bist der universelle Freund der Italiener. Deshalb ist es seit geraumer Zeit so, dass Italiener deinen Namen gar nicht mehr aussprechen. Sie sagen „Er“ oder „Unser altbekannter Freund“. Fast könnte man meinen, sie wollten das Böse bannen, indem sie deinen Namen meiden.

Lieber Silvio, du schließt deinen Brief mit den handschriftlichen Worten „Von Herzen Danke und eine innige Umarmung“. Was soll ich sagen? Du weißt, wie man charmant ist zu Freunden. Freunde, Amici, das sind in Italien alle. Auch die, die es nur sind, weil sie einem nützen können. Bitte vergiss aber nicht die Geschenke, ja? Oder sind die nur für die, die dich wählen? In aller Feindschaft

GIUSEPPE PITRONACI