Die Wiederauferstehung einer alten Freundschaft

Bei einem ausgedehnten Besuch in Russland versucht Kubas Staatschef Raúl Castro jene Bande neu zu knüpfen, die mit dem Zusammenbruch der alten Sowjetunion abgerissen waren. Beide Regierungen sehen darin große Chancen

BERLIN taz ■ Schon die Dauer des Besuchs spricht Bände. Satte acht Tage nimmt sich Raúl Castro Zeit für die erste Visite eines kubanischen Staatschefs in Russland seit rund 20 Jahren. Tauwetter steht seit dem Amtsantritt Raúls auf dem Programm, denn die neue Liebe zwischen Moskau und Havanna ist in beidseitigem Interesse.

„Raúl liebt halt das russische Fleisch“, heißt es scherzend in Havanna, wenn es um Raúl Castro und seine russischen Freunde geht. Selbst runde 15 Jahre Winterschlaf konnten den alten Seilschaften offenbar wenig anhaben. Kaum hatte nämlich Raúl Castro im Sommer 2006 die Macht von seinem schwer erkrankten Bruder übernommen, da klingelte irgendwo im fernen Moskau das Telefon, und wenig später konnte der neue Staatschef einen Kredit aus Moskau über die nicht unerhebliche Summe von 355 Millionen US-Dollar aus dem Hut ziehen.

Gedacht war das Geld nicht allein als Anschubfinanzierung für den Kauf mehrerer russischer Verkehrsflugzeuge, sondern auch für die Versorgung der kubanischen Armee mit Ersatzteilen. International wurde von dem Antrittscoup des kleinen und jüngeren Comandante wenig Notiz genommen, doch es war der leise Auftakt für eine neue Romanze zwischen Moskau und Havanna.

Heute sind die Beziehungen zwischen den ungleichen ehemaligen Bruderstaaten „außergewöhnlich“, wie Raúl Castro wenige Tage vor seiner Abreise nach Moskau zugab.

Den Staatschef wird es freuen, denn Raúl Castro ist kein Freund von einseitigen Abhängigkeiten und schätzt die Russen als Gegenpol zu China und Venezuela, die in den letzten Jahren mehr und mehr die Handelsbilanz der Insel prägten.

Die Russen hinken zwar noch diesen beiden Bruderländern hinterher, was den Umfang des Handels angeht, aber das kann sich schnell ändern, denn bei der Erdölexploration und bei der Suche nach neuen Nickelvorkommen engagieren sich seit rund einem Jahr eben auch Unternehmen aus Russland.

Die haben ohnehin gute Marktchancen, sofern sie Ersatzteile für alte Sowjetausrüstungen heranschaffen können. Die werden nämlich gebraucht in Kuba, und Russland kann liefern und hat dabei nicht nur – wie früher – Interesse an Tabak, Zucker und Zitrusfrüchten, sondern auch an medizinischem Equipment und Impfstoffen aus Kuba.

Im Übrigen hoffen Russlands Politik und Wirtschaft, die Karibikinsel als Sprungbrett nach Lateinamerika nutzen zu können.

Obendrein lässt sich mit ein wenig Militärpräsenz in der Region – sei es der Besuch von Kriegsschiffen in Havannas Hafen oder die Durchführung von Manövern mit Venezuelas Armee – die Hegemonialmacht der Region, die USA, trefflich ärgern. Das ist Moskau schon etwas wert, und genau deshalb wird über die Altschulden Kubas – von bis zu 20 Milliarden US-Dollar ist die Rede – nicht mehr geredet.

Auch die abrupte Stornierung aller Lieferverträge mit Kuba nach dem Zerfall der Sowjetunion, die Kuba in eine existenzielle Wirtschaftskrise stürzte, ist kein Thema mehr. Über der jüngsten Vergangenheit hängt im gegenseitigen Einvernehmen der Mantel des Schweigens.

Das heißt allerdings nicht, dass Havanna nichts zu erwarten hätte, denn als Gastgeschenk sagte Präsident Medwedjew kurzerhand 25.000 Tonnen Getreide für die darbenden Kubaner zu. Allerdings will niemand in Moskau die Renaissance der alten Subventionsstrukturen. Kooperation zum gegenseitigen Nutzen heißt das Motto heute laut Vladimir Davidov, dem Direktor des Lateinamerika-Instituts der Akademie der Wissenschaften. Ein Motto, unter dem sich alte Freundschaften trefflich erneuern lassen. KNUT HENKEL