Hatz auf alle, die anders aussehen

Kein Land in Europa hat in den letzten zehn Jahren mehr Einwanderer angelockt als Spanien – jetzt wird die Regierung in Madrid Nummer eins beim Rausschmeißen. „Wer keine Ausländer verhaftet, darf keine Überstunden abfeiern“, sagt ein Polizist

AUS MADRID REINER WANDLER

James Aweya hatte sich seine Reise anders vorgestellt. Nach einem Vorstellungsgespräch an einem Forschungsinstitut in Madrid wartete der Doktor der Informatik und Elektrotechnik im Flughafen der Hauptstadt auf seinen Rückflug ins kanadische Ottawa. Plötzlich näherte sich ein Grenzbeamter dem aus Ghana stammenden Afrokanadier, überwältigte ihn und legte ihm Handschellen an. Eine Stunde lang wurde er gefesselt festgehalten, während die Beamten seine Identität prüften. Am Ende wurde der 47-Jährige freigelassen.

Selbst wenn er den Job bekäme, will Aweya jetzt nicht mehr nach Spanien zurückkommen. Er ist stattdessen zum Symbol für die seit Wochen anhaltende Jagd auf mutmaßliche Einwanderer ohne Aufenthaltsgenehmigung in Spanien geworden. Spaniens Polizei patrouilliert überall und kontrolliert jeden, der exotisch aussieht. Immigrantenorganisationen sprechen von einer „willkürlichen Hetzjagd“. „Das ist in einem Rechtsstaat nicht zu tolerieren“, heißt es in einem Kommuniqué der Vereinigung Marokkanischer Arbeiter in Spanien (ATIME).

Spanien erlebte in den letzten Jahren einen Einwanderungsboom wie kein zweites Land in der EU. Dank des Baubooms gab es Arbeit. Im Jahr 2000 lebten knapp eine Million Ausländer in Spanien, heute sind es 5,3 Millionen. Hinzu kommen mindestens eine halbe Million „sin papeles“, Ausländer ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung. Jetzt wo die Arbeitslosigkeit steige, wolle die Regierung die Ausländer loswerden, beschweren sich die Immigrantenverbände.

Einwanderer aus Nordafrika trifft es besonders hart. So sickerten Dienstanordnungen der Polizei durch, in denen Stadtteilkommissariate bestimmte Festnahmequoten vorgegeben bekamen. In den Anordnungen sei auch festgelegt, aus welchen Herkunftsländern die „Illegalen“ möglichst stammen sollen. Die Rangliste macht sich an den Abschiebekosten fest. Da es nach Marokko per Bus und Schiff geht, sind Nordafrikaner besonders beliebt. Bolivianer hingegen werden laufengelassen: Es gibt keine günstigen Flüge nach La Paz.

Die marokkanische Botschaft in Madrid hat sich inzwischen offiziell beschwert. „Wenn es ein Land gibt, das mit den spanischen Behörden in Sachen Migration zusammenarbeitet, ist es Marokko“, erklärt der marokkanische Botschafter in Madrid, Omar Azziman, gegenüber der spanischen Presse. „Ist dies die Art, uns das zu danken?“

Es handle sich „um ein Missverständnis“ bei den Polizeibehörden, versuchte der sozialistische Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba anlässlich einer vierstündigen Anhörung vor dem spanischen Parlament die Wogen zu glätten: „Irgendjemand hat schlecht gearbeitet, aber nicht der Minister, nicht der Staatssekretär und auch nicht der Polizeidirektor“, sagte er. Man habe keine generelle Jagd auf Ausländer ohne Dokumente angeordnet, sondern eine Kampagne zur „Bekämpfung der Kriminalität“. Nun habe er die umstrittenen Dienstvorschriften ausgesetzt.

„Der Minister lügt“, zitiert die Tageszeitung El Mundo dazu allerdings einen Polizeibeamten aus Madrid: „Wenn wir keine Ausländer verhaften, dürfen wir keine Überstunden abfeiern.“

Trotzdem kommen weiterhin Immigranten in Spanien an. Sobald sich das Wetter auf hoher See beruhigt, gelangen Flüchtlingsboote an die Küsten der Kanarischen Inseln. Erst vergangene Woche kam es dabei wieder einmal zu einer Tragödie, als ein Boot vor der Insel Lanzarote kenterte. 21 Menschen ertranken, darunter 16 Minderjährige. Nur sechs Flüchtlinge überlebten.

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