Niederländische Nachbarn sollen petzen lernen

NIEDERLANDE Die Polizei liefert Täterbeschreibungen per Anruf oder SMS, Bürger melden Verdächtige der Zentrale. Dieses bislang lokal erprobte Prinzip von „Burgernet“ soll jetzt landesweit eingeführt werden

So gut wie alle Parteien unterstützen die Einführung von „Burgernet“

AMSTERDAM taz | „Meine Nachbarin petzt bei Bürgernetz.“ So betitelte der Kriminologe Marc Schuilenburg von der Universität Amsterdam unlängst einen Essay in der Tageszeitung NRC next, in dem er die Entstehung immer neuer Sicherheitsinitiativen kritisiert. Auch wenn die Nachbarin fiktiv ist, so ist sie doch in guter Gesellschaft. Ganze 26.000 Teilnehmer haben sich inzwischen bei „Burgernet“ registriert, einer Initiative von Polizei und neun meist kleineren Gemeinden, um Menschen aktiv bei der Fahndung nach Tätern oder Vermissten einzusetzen. Die Polizei liefert die Täterbeschreibungen per Anruf oder SMS, die Bürger melden Verdächtiges der Zentrale. Im Juni lief das halbjährige Pilotprojekt in neun Gemeinden aus. In 10 Prozent der Fälle konnten Verdächtige durch Hinweise aus dem Bürgernetz festgenommen werden.

Die Initiatoren sehen dies als großen Erfolg. Laut Ragna Opten, Kommunikationsberaterin des Programmbüros von Burgernet, lag die anvisierte Aufklärungsquote bei 5 Prozent. Das Ergebnis sei eine deutliche Bestätigung des Ansatzes, Bürger an der Fahndung zu beteiligen. Neben der Festnahme von Verdächtigen sieht Opten einen anderen Vorteil. „Das Modell hat auch weiche Resultate. Dazu gehört, dass die Menschen zu ihrer eigenen Sicherheit beitragen können.“

Ins gleiche Horn stößt Coby de Vries, bei der Polizei Utrecht zuständig für das Netzwerk. Den Einfluss auf die Sicherheit in der eigenen Nachbarschaft nennt sie „mindestens ebenso wichtig“ wie die effektive Aufklärung von Straftaten. Opten wie De Vries plädieren dafür, das Prinzip flächendeckend einzuführen.

Genau dies erwägt die niederländische Regierung. „Sicherheit ist nicht allein die Aufgabe von Polizei und Justiz. Bürger, Betriebe und Organisationen sind mitverantwortlich“, hieß es 2007 im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung aus Christ- und Sozialdemokraten sowie der „Christen Union“.

Der Kriminologe Schuilenburg kritisiert die „Strategie des Verantwortlichmachens“, die zu einer Vielfalt an privaten und halboffiziellen Sicherheitsregime führe. Diese gefährdeten die Rechtsposition der Bürger und höhle nicht zuletzt das staatliche Sicherheitsmonopol aus.

Die Verantwortlichen teilen diese Sorge nicht. Coby de Vries sind keine Fälle bekannt, in denen die Bürgerdetektive ihre Kompetenzen überschritten hätten. Auch Ragna Opten ist überzeugt, dass sich die beteiligten Bürger auf die Bereiche „Hören, Sehen, Melden“ beschränken und die Festnahmen der Polizei überlassen. Beide vertrauen darauf, dass Neulinge bei Informationsabenden adäquat auf ihre Aufgaben vorbereitet werden.

So gut wie alle Parteien unterstützen inzwischen die Einführung von Burgernet. Auch bei der Partei „Groen Links“, wo man dem Modell lange kritisch gegenüberstand, hat ein Umdenken eingesetzt. Selçuk Akinci, Sprecher der Parlamentsfraktion, sieht die Furcht vor einem Polizeistaat als unbegründet an, solange das Modell an feste Voraussetzungen geknüpft sei. Die Zahl der Fahndungsaktionen müsse beschränkt sein, um einen „Big-Brother-Effekt“ zu verhindern. Zudem fordert Groen Links eine Gewähr, dass Unschuldige von Burgernet nicht belangt würden. Wie das aussehen soll, weiß Akinci allerdings auch nicht zu sagen. TOBIAS MÜLLER