Nicaragua als Ortega-Land

30 JAHRE REVOLUTION Der einstige Führer der sandinistischen Revolution und heutige Präsident des Landes zieht längst alle Register, um seinen Clan an der Macht zu halten

Von den Somozas zu den Ortegas – Nicaragua auf dem Weg in die Familiendiktatur

VON RALF LEONHARD

Nicaragua, ein Land frei von Analphabetismus. Das wird Präsident Daniel Ortega am Sonntag in seiner Festansprache verkünden. Am 19. Juli wird der 30. Jahrestag des Beginns der Revolution gefeiert. Der von der Unesco bescheinigte Erfolg beim Kampf gegen die Unwissenheit knüpft an die Errungenschaften der Revolution an, die einst mit einer Alphabetisierungskampagne eine grundlegende Transformation der Gesellschaft in Angriff nahm.

Daniel Ortega, der gütig von den dunkelrosa Plakatwänden lächelt, will den Eindruck erwecken, als machte er dort weiter, wo er einst gezwungen war, aufzuhören. Die Revolution wurde bekanntlich nach einem langen Zermürbungskrieg, finanziert und propagandistisch begleitet von den USA, 1990 abgewählt. Beim dritten Versuch gelang es Ortega, in den Präsidentenpalast zurückzukehren.

„Revolution, Phase 2“, ist das Etikett, das der Chef der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) seiner Politik verpasst hat. Schulgelder und Praxisgebühren in den öffentlichen Spitälern wurden mit einem Federstrich abgeschafft, ein Null-Hunger-Programm soll die Armut auf dem Land nachhaltig bekämpfen.

Dass Ortega, um wieder an die Macht zu kommen, einen Kuhhandel mit seinem schärfsten Rivalen, dem rechten Expräsidenten Arnoldo Alemán schließen musste und dabei alle moralischen Prinzipien der Revolution über Bord geworfen hatte, betrachten Anhänger der Regierung als notwendigen Preis. So mancher ärgert sich über den messianischen Tonfall, den der Präsident in seinen Reden anschlägt, und über die pseudoreligiöse Rhetorik. „Dem Volke zu dienen, heißt Gott zu dienen“, heißt ein Slogan, der landauf, landab plakatiert wurde. Solche Sprüche sollen nicht nur die gläubige Bevölkerung anziehen, sie dienen auch dem Familieneinkommen. Denn diese Aufträge gehen ohne Ausschreibung an das Grafikunternehmen des ältesten Ortega-Sohns.

Das Null-Hunger-Programm, entworfen vom Ökonomen Orlando Núñez, könnte auch aus der Armutsbekämpfungsrezeptur der Weltbank stammen. Es sei von der Idee her nicht schlecht, meint Sinforiano Cáceres, der Vorsitzende des Genossenschaftsdachverbands Fenacoop, zumal es sich ausschließlich an Frauen richtet. Allerdings blieben die Allerärmsten unberücksichtigt. Denn wer ein Zuchtschwein, eine trächtige Kuh, Saatgut und landwirtschaftliche Beratung bekommt, muss Land haben. Auch bei vielen Begünstigten wird das anfängliche Glück bald getrübt, denn die ausländischen Zuchtschweine brauchen Spezialnahrung, während sich die genügsamen einheimischen Rüsseltiere mit Lebensmittelabfällen zufrieden geben. Viele wurden daher aus Kostengründen geschlachtet, bevor sie Nachkommen in die Welt setzen und damit Einkommen erzeugen konnten. Dazu kommt, so Cáceres, „dass 60 Prozent der Kühe nicht kalben“.

Die praktischen Probleme werden durch politische Gängelung noch potenziert. Denn wer in den Genuss der Segnungen kommt, bestimmen die sogenannten Volksbeteiligungskomitees (CPC), die flächendeckend als parteihörige Parallelstrukturen zur öffentlichen Verwaltung eingerichtet wurden. Sie unterstehen Ortegas Ehefrau Rosario Murillo, die den Parteiapparat lenkt. Die CPC haben den Auftrag, zu 50 Prozent die sandinistische Klientel zu bedienen und zur Hälfte Familien auszuwählen, die politisch auf der anderen Seite stehen, aber meinungsbildend im Lager der Liberalen sind. Was Cáceres besonders ärgert, ist das unprofessionelle Vorgehen: „Die Leute in den CPC verstehen nichts von Landwirtschaft. Sie schaffen nur 18 bis 25 Prozent der Umsetzung.“ Deswegen ist auch der Organisationsgrad gering. Bei 15.000 begünstigten Familien sollten bereits über 600 Genossenschaften zu je etwa 50 Mitgliedern entstanden sein. In Wahrheit gibt es nicht mehr als eine Hand voll.

Der Verbreiterung der eigenen Basis dient auch die massenhafte Verteilung von Parteibüchern an Staatsangestellte. „Zwang gibt es natürlich keinen“, meint María López Vigil, Herausgeberin de analytischen Zeitschrift Envío an der Jesuitenuniversität UCA, „doch machen fast alle mit, weil sie sonst Nachteile im Job fürchten.“ Ziel sei es, bei den nächsten Wahlen auf die dramatisch angestiegene Anzahl von Parteimitgliedern verweisen zu können, um einen Wahlschwindel zu vertuschen. Bei den Kommunalwahlen im vergangenen November konnte die FSLN nur dank massiver Manipulationen Managua und andere größere Städte verteidigen. Alexis Argüello, dreifacher Boxweltmeister, der als populärer Kandidat vorgeschoben wurde, zerbrach daran und nahm sich Ende Juni das Leben. Er musste den Wahlschwindel verteidigen, hatte im Rathaus aber nichts zu melden. Von den Vertrauensleuten Ortegas wurde er am laufenden Band gedemütigt.

Daniel Ortega will nach dem Vorbild von Hugo Chávez möglichst lange an der Macht bleiben. Sollte er eine Verfassungsreform, die ihm die Wiederwahl gestatten würde, nicht durchbringen, will er bei den Wahlen 2011 seine Frau vorschicken. Hugo Torres, einst einer der wagemutigsten Guerillakommandanten, warnte letztes Wochenende auf einem Symposion in Berlin vor den Anfängen einer Familiendiktatur.