Taliban-Nadelstichtaktik macht Nato ratlos

AFGHANISTAN Jeden Tag neue Opfer unter den internationalen Truppen: Immer mehr Diplomaten erkennen, dass ein politischer Ausgleich mit den Taliban nötig ist. Aber noch ist das nicht offiziell

AUS KABUL THOMAS RUTTIG

Drei britische und vier US-Soldaten sind am Donnerstag und Freitag in Südafghanistan getötet worden. Alle fielen am Wegrand verborgenen, ferngezündeten Sprengsätzen zum Opfer, eine Lieblingswaffe der Taliban.

Die Vorfälle zeigen, dass die jüngsten Anti-Taliban-Offensiven weniger erreichen als von der Nato gedacht. Die Taliban haben sich einfach zurückgezogen oder sind in der Bevölkerung untergetaucht. Von dort führen sie Nadelstich-Angriffe durch, die die Opferzahlen der ISAF/NATO-Truppen nach oben treiben: 18 allein in der ersten Augustwoche.

Auch in den Distrikt Chahrdara westlich von Kunduz, aus dem afghanische und Bundeswehrsoldaten kürzlich die Taliban verdrängt hatten, sind sie inzwischen wieder eingesickert. Gestern nachmittag wurde ein Bundeswehrsoldat verletzt, als eine Patrouille beschossen wurde.

Der neue dänische NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen rief sofort nach zusätzlichen Soldaten. „Truppenzahlen zählen“, sagte er gestern bei seinem Antrittsbesuch am Hindukusch und sprach von „Fortschritten im Süden“. Auch wenn er politisch korrekt betonte, es gebe „keine rein militärische Loesung“, wirkt das hilflos. Militärstrategen zufolge bräuchte man etwa 300.000 Soldaten – das Dreifache der gegenwärtigen internationalen Truppenstärke in Afghanistan -, um der Aufständischen Herr zu werden. Das wäre eine totale Okkupation und politisch weder durchsetzbar noch vertretbar.

An einem politischen Plan als Alternative aber fehlt es, auch wenn jüngst der britische Außenminister David Miliband, der US-Sonderbeauftragte Richard Holbrooke und erneut auch Präsident Hamed Karzai Gespräche mit den Taliban befürworteten. In der Irish Times plädierte unterdessen am Donnerstag der frühere UN- und EU-Mitarbeiter Michael Semple für einen „großen Deal“ mit der Taliban-Führung unter Mullah Omar. Semple war im Dezember 2007 wegen angeblich unautorisierter Kontakte mit den Aufständischen aus Afghanistan ausgewiesen worden, berät aber weiter westeuropäische Regierungen in dieser Frage. In persönlichen Kontakten geben einige Taliban zu, schreibt er, „dass der bewaffnete Kampf niemals mehr als ein Unentschieden bringen werde. Die weiseren Taliban wissen, dass die Forderung nach Truppenabzug als Vorbedingung für Gespräche eine rhetorische Position ist. Andere geben sogar zu, dass sie internationale Truppen dulden müssten, wenn sie Teil der Regierung wären.“ Einen ähnlichen Ansatz unterstützte Anfang der Woche auch der UN-Gesandte in Kabul, der Norweger Kai Eide, erstmals öffentlich. Sein Mandat umfasst, örtlich Kontakte zu Taliban herzustellen.