Polizei macht Jagd auf Illegale

GRIECHENLAND Mit der „Operation Besen“ will die Regierung Migranten aus Athen vertreiben. Sie werden in die Provinz abgeschoben. Dort herrscht bereits Hygienenotstand Sie werden in die Provinz abgeschoben. Dort herrscht in den Arrestzellen bereits Hygienenotstand

■ Seit Dienstag befinden sich 150 unbegleitete Minderjährige, die in einem Flüchtlingslager in Pagani auf der Insel Lesbos festgehalten werden, im Hungerstreik. Sie fordern ihre sofortige Freilassung. Die Flüchtlingssituation in Griechenland ist katastrophal. Pagani ist ein Paradebeispiel dafür: Mit rund 280 Betten und 800 Insassen ist das Lager komplett überbelegt. Menschen müssen auf dem Boden schlafen. 100 Personen teilen sich eine Toilette. Dies gilt auch für Familien mit Babys und Schwangere. Da Erstanhörungen von Polizisten durchgeführt werden, die weder geschult sind noch über erforderliche Sprachkenntnisse verfügen, kann von fairen Asylverfahren nicht die Rede sein. (taz)

AUS ATHEN NIELS KADRITZKE

Mitte August wirkt die sonst so geschäftige Ermou-Straße im Zentrum von Athen wie eine Strandpromenade im Februar. Umso auffälliger ist, dass hier vier bewaffnete Polizisten patrouillieren. Die demonstrative Präsenz der Polizei gehört zu einer sommerlichen Kampagne, die seit Mitte Juli im Gang ist. Die „Operation Besen“ gilt vor allem illegalen Migranten, die sich seit Jahren im „historischen Dreieck“ der Innenstadt konzentrieren.

In dem Viertel zwischen Syntagma-, Monastiraki- und Omonia-Platz hat die Polizei in den letzten Wochen mehr als 2.500 Illegale aufgestöbert. Ähnliche Razzien gab es in anderen Städten. Am Hafen von Patras wurde am 12. Juli ein Hüttendorf niedergerissen, in dem Hunderte Migranten lebten, die auf eine Chance zur illegalen Überfahrt nach Italien warteten.

Mit ihren polizeilichen Kehrwochen reagiert die Regierung auf Beschwerden der lokalen Bevölkerung und von Interessengruppen, die wie die Hoteliers in der Athener Innenstadt eine „Degradierung“ ihrer Viertel beklagen. Vize-Innenminister Markojannakis nennt noch einen Grund: Man müsse demonstrieren, dass Griechenland kein „bequemes Durchgangsland“ für Migranten mehr sein will. Um diesen Abschreckungseffekt zu erzielen, werden die Illegalen in die Provinz verlagert.

Das ist allerdings keine Dauerlösung. In manchen Kleinstädten sind die Arrestzellen der Polizeistationen so überfüllt, dass die lokalen Behörden den hygienischen Notstand ausrufen. Mittelfristig will das Innenministerium fünf große Lager in ehemaligen Kasernen einrichten, die bis zu 1.500 Immigranten aufnehmen können. Hier sollen auch Tausende von „Boatpeople“ landen, die in den überfüllten Auffanglagern der ostägäischen Inseln leben, etwa in Lesbos, Samos oder Leros. Die Lager sollen in Provinzregionen liegen, wo die Insassen keine Chance auf Zugang zu einem grauen Arbeitsmarkt haben. Human Rights Watch und griechische Menschenrechtler warnen vor KZ-ähnlichen Zuständen. Zudem regt sich an allen vorgesehenen Standorten Widerstand. Der Bürgermeister von Avlida auf der Insel Euböa empfindet das geplante Lager als „Müllkippe“ für Leute, die man nicht in Athen haben will. Und protestierende Bürger haben bereits die Brücke zwischen Euböa und dem Festland blockiert.

Über das Ausmaß der illegalen Einwanderung in Griechenland gibt es nur Schätzungen. Die Zahl aller Ausländer liegt weit über einer Million, das sind mehr als zehn Prozent der Gesamtbevölkerung. Etwa 600.000 haben ein Daueraufenthaltsrecht oder eine Art Green Card, die Zugang zu regulärer Arbeit ermöglicht. Die Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht ist aber durch strenge Kriterien stärker eingeschränkt als in den anderen EU-Staaten. Und die Anerkennungsquote für politische Asylbewerber liegt mit 0,03 Prozent (für 2007) um ein Vielfaches niedriger als der EU-Durchschnitt.

Human Rights Watch und griechische Menschenrechtler warnen vor KZ-ähnlichen Zuständen

Die Organisation Human Rights Watch spricht von einem „totalen Versagen“ des griechischen Asylsystems. Deutsche Gerichte haben entschieden, dass aus Griechenland kommende Asylbewerber nicht zurückgeschickt werden dürfen, weil sie in Athen keine Chance haben, zu ihrem Recht zu kommen.

Auf solche Vorwürfe reagiert die griechische Regierung häufig, indem sie mit dem Finger auf die Türkei zeigt. Die meisten Flüchtlinge kommen über die Ägäis nach Griechenland und die Schleuser wären nur an der Küste Kleinasiens zu stoppen. Auch erklärt sich die Türkei für unfähig, das bilaterale Rücknahmeabkommen von 2001 zu erfüllen. Dies sei erst möglich, erläuterte der türkische Europa-Minister Egemen Bagis, wenn Ankara eigene Rücknahmevereinbarungen mit Syrien, dem Irak und dem Iran erreicht habe.

Angesichts dessen setzt Griechenland verstärkt auf die Migrationsabwehr der EU. Die ersten Frontex-Schiffe sind in der Ägäis eingetroffen. Premier Karamanlis fordert sogar die Gründung einer „Europäischen Küstenwache“. Für das EU-Land, das die humanitären Mindeststandards der Behandlung von Flüchtlingen am krassesten unterbietet, ist das ziemlich verwegen.