„Wir setzen auf Dialog“

Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi verlangt von Europa, nicht nur das Nuklearprogramm, sondern auch die Menschenrechtssituation zu thematisieren

62, wurde 2003 als erste muslimische Frau mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. In dieser Woche hielt sie in Hamburg einen Vortrag über die Lage im Iran.

INTERVIEW GERNOT KNÖDLER
UND JAN KAHLCKE

taz: Frau Ebadi, in der vergangenen Woche wurde das neue Kabinett von Präsident Ahmadinedschad gewählt. Ist das Irans erste Militärregierung?

Schirin Ebadi: Nein, dafür fehlen bestimmte Charakteristika. Aber die Revolutionsgarden unterstützen Ahmadinedschad. Und die Gewalt, die von der Regierung gegen die Protestbewegung ausging, hatte schreckliche Ausmaße.

Im neuen Kabinett sitzen keine Geistlichen mehr. Ist das gut oder schlecht für das Land?

Ich achte nicht auf die Kleidung der Menschen, sondern darauf, was sie denken. Es ist selbstverständlich, dass Ahmadinedschad Leute ausgesucht hat, die denken, wie er selbst. Vor ein paar Tagen sind sogar vierzig iranische Botschafter auf einen Schlag ausgewechselt worden. Es kommt nicht darauf an, ob das Geistliche sind oder Militärangehörige – es kommt darauf an, was sie umsetzen wollen.

Die Geistlichkeit hat ja zumindest gegen die schlechte Behandlung von Gefangenen protestiert und die Schließung eines berüchtigten Gefängnisses erwirkt – unter Berufung auf den Islam.

Es hat ja nicht die gesamte Geistlichkeit dagegen protestiert. Mit anderen Worten: Es gibt unter den Geistlichen zwei verschiedene Richtungen. Die einen stehen hinter Ahmadinedschad, die anderen gegen ihn.

Wird es in einem Kabinett ohne Geistliche noch schwerer, Menschenrechtsfragen anzusprechen?

Leider hat es im Kabinett für mich nie Ansprechpartner in Menschenrechtsfragen gegeben, auch nicht in der Amtszeit von Chatami.

„Sie dürfen nicht zulassen, dass die Menschen dort allein bleiben“

Von drei im Parlament durchgefallenen Ministerkandidaten waren zwei Frauen, andererseits hat es erstmals eine Frau ins Kabinett geschafft. Was bedeutet das für die Frauen im Iran?

Das hat keine positive Bedeutung, denn diese neue Ministerin denkt genauso wie Ahmadinedschad. Wichtig ist, dass ein Mensch die Gleichberechtigung für richtig hält. Genau zu dieser Frau, die jetzt Ministerin geworden ist, sind vorher Frauen gekommen und haben sie gebeten, Petitionen zu unterschreiben, mit dem Ziel die Polygamie abzuschaffen, oder Kindern, egal welchen Geschlechts, endlich das gleiche Erbteil zuzugestehen. Da hat sie gesagt: Nein, das seien Umstände an die sie glaube und die sie für richtig halte. Wenn so eine Frau Ministerin wird, bedeutet das nicht einmal einen kleinen Schritt zur Verbesserung der Rechte von Frauen.

Warum ist aus den Protesten keine landesweite Massenbewegung geworden?

Es ist eine Massenbewegung. Sie hat auf andere Städte als Teheran übergegriffen. Das kann man anhand der Festnahmezahlen feststellen. In kleineren Städten und auf dem flachen Land gab es diese Bewegung nicht, das stimmt.

Wie kann man die Reformbewegung am Leben halten?

Da kommt Ihnen als Journalisten eine wichtige Rolle zu: Sie müssen weiter über das Geschehen im Iran berichten und dürfen nicht zulassen, dass die Menschen dort allein bleiben. Sagen Sie den Politikern in Europa, dass sie mit der iranischen Regierung nicht nur über das Nuklearthema reden sollen, sondern auch die Menschenrechtssituation und die Demokratie.

Irans oberster Führer Ajatollah Ali Chamenei hat Oppositionellen mit schwerwiegenden Konsequenzen gedroht. Wer gegen das islamische System Widerstand leiste, müsse mit einer harten Reaktion rechnen, sagte Chamenei in einer live im Fernsehen übertragenen Predigt, die er anlässlich des traditionellen Freitagsgebets hielt. Kritik oder Meinungsverschiedenheiten mit den Behörden seien aber akzeptabel. Des Weiteren pochte Chamenei auf das Recht seines Landes zur Urananreicherung. Iran müsse in dieser Frage standhaft bleiben, sagte Chamenei. Auf seine Rechte zu verzichten, sei es im atomaren oder in einem anderen Bereich, bedeute den „Niedergang“ der Islamischen Republik. Das US-Außenministerium hatte zuvor erklärt, das am Mittwoch vorgelegte Angebot aus Teheran gehe nicht auf die Sorgen des Westens in Bezug auf das iranische Atomprogramm ein. rtr/afp

Muss der Westen auch Druck auf das Regime ausüben?

Wir setzen auf den Dialog. Ich bin keinesfalls bereit, einen militärischen Angriff auf den Iran hinzunehmen. Ich bin auch gegen die Bedrohung mit militärischer Gewalt. Dann könnte die Regierung unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit noch härter gegen die Opposition vorgehen.

Was ist mit Sanktionen?

Auch Sanktionen sind das falsche Mittel. Darunter würde nur die Bevölkerung leiden. Wir setzen auf den Dialog. Aber dafür muss der Westen aufhören, nur an die eigene Sicherheit zu denken, und endlich auch die Menschenrechtssituation in den Blick nehmen. Die iranische Regierung sagt, der Westen habe kein Recht dazu, das sei eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Iran. Aber das stimmt nicht: Der Iran hat sämtliche Menschenrechtskonventionen unterzeichnet.