Kolumne Nebensachen aus Jerusalem: Die Schabbes-Schickse

Leben unter Orthodoxen: Seit dem Umzug wird die Autorin gerne am Schabbat zu den Nachbarn gerufen, wenn es etwas an- oder auszuschalten gilt. Bigott, sagen Sie?

Eben war es dunkel geworden, als es an der Tür klopft. "Bei uns ist die Sicherung rausgesprungen", druckst Nachbars halbwüchsige Tochter. Es dauert eine Weile, bis ich kapiere, warum sie deshalb extra rüberkommt. Wir sind nämlich neu in der Gegend und ab sofort weit und breit die einzigen Nichtjuden unter Orthodoxen.

Die nachbarliche Koexistenz wird vor allem an Samstagen Belastungsproben ausgesetzt, wenn Freunde per Auto zu Besuch kommen. Am Schabbes bleiben die Lichter und Motoren der frommen Juden aus, da hat man es auch nicht gern, wenn andere fahren. Im Grunde aber ist unser Zuzug für die Umgebung ein Segen. Zum Beispiel wenn die Sicherung rausspringt. Ob ich "mal mitkommen" könne, fragt Nachbars Tochter.

Eine Gruppe ernster Männer steht vor dem Kasten, hält die Augen gesenkt, nur das Mädchen deutet auf den Schalter, und jetzt geht auch mir ein Licht auf. Ich bin die Schabbes-Schickse, die, eben weil sie keine Jüdin ist, einen Schalter betätigen darf.

"Das ist nicht nur entwürdigend, sondern glatter Rassismus", erzürnt sich ein Freund, der selbst Jude ist, aber nicht religiös. "Wozu machen sie sich erst Gesetze, wenn sie sie dann anschließend doch wieder umgehen?" Doch immerhin eröffnet mir meine Nachbarschaftshilfe ungeahnte Möglichkeiten. Wenn ich gut genug dafür bin, am Schabbes einen Schalter umzulegen, dann dürfte auch niemand etwas dagegen haben, wenn ich mit dem Auto fahre. Vielleicht sollte ich meine Monopolstellung systematisch vermarkten. Jeder umgelegte Schalter würde mit umgerechnet 10 Euro berechnet, und bei Anwegen gebe es einen Aufschlag.

Nur die Kommunikation müsste besser werden. Neulich war es wieder so weit. "Wir haben das Licht im Kühlschrank angelassen", sagt die Nachbarstochter und führt mich in die Küche. Etwas umständlich, dass man als frommer Jude noch nicht einmal sagen darf, worum es geht. Anweisungen zu geben fällt auch unter die Schabbes-Verbote.

Eine Weile stehen wir schweigend vor dem Kühlschrank, bis sie mir per Kopfzeichen bedeutet, die Tür zu öffnen. Dort ist tatsächlich ein Schalter, mit dem man am Schabbes das Licht ausschalten kann, um so auch frommen Juden ein Öffnen zu ermöglichen. Im obersten Stockwerk gibts dasselbe Problem. Ob ich gern Pudding esse, fragt der Familienvater. Diesmal weiß ich gleich, wo der Schuh drückt. Ein Schokopudding, immerhin. Mein erster Lohn als Schabbes-Schickse.

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1961 in Berlin geboren und seit 2021 Co-Leiterin der Meinungsredaktion. Von 1999 bis 2019 taz-Nahostkorrespondentin in Israel und Palästina.

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