Klare Worte für den Gast

NAHOST Während seines Besuchs in Washington wird Israels Premier Netanjahu wegen seiner Siedlungspolitik von Mitgliedern der US-Regierung ungewöhnlich scharf kritisiert

„Das Festhalten am Status quo ist unerträglich“

AUSSENMINISTERIN HILLARY CLINTON

AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN

Unangenehme Wahrheiten unter Freunden sagt man hinter verschlossenen Türen. Das Gespräch zwischen Barack Obama und dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, auf Besuch in Washington, sollte am Dienstagabend ohne Kameras stattfinden. Dabei trifft der Besucher auf einen US-Präsidenten, der mit neuer Stärke aus der Entscheidung für eine Gesundheitsreform hervorgeht. Vor dem Spitzengespräch hinter verschlossenen Türen sagten Mitarbeiter des Weißen Hauses sowie die US-Außenministerin Hillary Clinton und David Petraeus, einer der höchstrangigen US-Generäle, was sie von dem Fortgang der illegalen Siedlungspolitik Israels in den besetzten Territorien halten: gar nichts.

„Das Festhalten am Status quo ist unerträglich“, erklärt Clinton am Montag vor dem Jahreskongress der wichtigsten proisraelischen Lobby-Organisation Aipac in Washington. Zugleich beteuert sie die Freundschaft zwischen beiden Ländern. Sie sei „solide wie ein Fels“, versichert Clinton. „Eine Beleidigung“, nennt David Axelrod, politischer Berater Obamas, die Ankündigung des Baus von 1.600 weiteren Wohnungen in Ostjerusalem während eines Besuchs von Vizepräsident Joe Biden in Israel. Und fügt hinzu: „Noch wichtiger ist, dass sie anscheinend kalkuliert war, um die Anstrengungen für Frieden und Sicherheit in der Region zu untergraben.“ Am deutlichsten wird Petraeus, der Kommandeur des für den Nahen- und Mittleren Osten zuständigen Central Command der US-Streitkräfte. In einer ungewöhnlich politischen Erklärung für einen General, bezeichnet er den israelisch-palästinensischen Konflikt als „Problem für das Interesse der USA“.

Der israelische Premierminister hingegen bestätigt in Washington, was in der vergangenen Woche die diplomatischen Verstimmungen zwischen den beiden Ländern ausgelöst hat: Der illegale Siedlungsbau geht weiter. Vor der Aipec-Versammlung sagt er: „Jerusalem ist keine Siedlung. Es ist die Hauptstadt von Israel. Das jüdische Volk hat dort vor 3.000 Jahren gebaut und wird es auch heute tun.“

Die israelisch-amerikanischen Spannungen komplizieren auch die Beziehungen im Inneren der jüdischen Gemeinschaft in den USA. Am Rande des Aipac-Kongresses in Washington kritisiert Hadar Susskind in einem Interview mit der israelischen Tageszeitung Ha’aretz die Siedlungspolitik Israels. Er ist ein Sprecher der neuen US-amerikanischen Lobby-Organisation J-Street, die sich für den Friedensprozess zwischen Israel und Palästina einsetzt. Alan Darshovitz, ein Mann der alten Garde von Aipac, fällt ihm vor laufenden Kameras ins Wort. „Ihr spaltet die jüdische Gemeinschaft“, wirft er ihm vor.

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