Belgien will Schleier verbieten

GESICHTSPOLITIK Innenausschuss des Parlaments will Verbot, das Gesicht „ganz oder teilweise“ zu verdecken. Damit hätte Belgien in Europa die Nase vorn

Muslim-Verband-Chefin fürchtet: „Heute Schleier, morgen Turbane oder Miniröcke“

AUS ANTWERPEN TOBIAS MÜLLER

In Europas Diskussion über ein Burkaverbot geht Belgien voran: Ohne Gegenstimmen nahm der Innenausschuss des Parlaments in Brüssel am Mittwoch einen entsprechenden Gesetzentwurf an. Das Tragen von Kleidung, „die das Gesicht ganz oder teilweise bedeckt“, soll ins Strafgesetzbuch aufgenommen werden. Bei einem Verstoß drohen Bußgeld bis zu 250 Euro und eine Woche Haft. Ausgenommen sind Menschen, die von Berufs wegen ihr Gesicht bedecken müssen. Noch im April will das Parlament entscheiden. Da der Entwurf von allen Parteien mitgetragen wird, gilt seine Annahme als sicher.

Der Entwurf geht zurück auf eine Initiative des liberalen Mouvement Réformateur (MR), der gemeinsam mit flämischen Liberalen, Christdemokraten aus beiden Sprachgruppen sowie der frankophonen Parti Socialiste (PS) die belgische Regierung stellt. MR-Abgeordnete Corinne de Permentier sagte: „Frauen können sich nun von einer Last befreien. Dies ist ein starkes Signal gegenüber Islamisten.“ Bart Somers von den flämischen Liberalen (VLD) meinte, der Rechtsstaat müsse handeln, wenn Frauen verpflichtet würden, „in einem Kerker herumzulaufen“. Auch die oppositionellen Grünen schlossen sich an. Der Abgeordnete Stefaan Van Hecke nannte die Burka ein „Zeichen der Unterdrückung der Frau“. Auch müssten Menschen in der Öffentlichkeit erkennbar sein.

Just dieses Argument begleitet die jahrelange Diskussion in Belgien. Das Verbergen des Gesichts in der Öffentlichkeit gilt als Sicherheitsrisiko. Daher haben Kommunen bereits die Möglichkeit, das Tragen von Burka oder Nikab als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld zu belegen. Diese wurde jedoch nicht überall angewendet. Der Gesetzentwurf soll die rechtliche Situation nun vereinheitlichen.

Kritik kam umgehend vom Executief van de Moslims van België (EMB), dem Zentralorgan der über 600.000 belgischen Muslime. Vizevorsitzende Isabelle Praile nannte es eine „Freiheit jeden Individuums“, das Gesicht zu bedecken. In dem Gesetzentwurf sieht sie einen Präzedenzfall: „Heute ist es der gesichtsbedeckende Schleier, morgen vielleicht der Turban der Sikhs oder der Minirock.“

Praile, selbst Konvertitin, sprach sich dagegen aus, Frauen zum Tragen der Burka zu zwingen. Allerdings kenne sie viele Frauen, die die Vollbedeckung aus freiem Willen trügen. Diesen würde durch das Verbot „Gewalt angetan“. Die anderen würden durch das Verbot im familiären Kreis eingesperrt.

Die belgische Initiative ist umso bemerkenswerter, als der französische Staatsrat am selben Tag der Regierung in Paris von einem solchen Schritt abriet. Dieser könnte gegen die in der Verfassung garantierte Trennung von Kirche und Staat oder die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen, wenn er speziell gegen die Kleidung einer Glaubensgemeinschaft gerichtet sei. In dem belgischen Gesetzentwurf werden die entsprechenden Kleidungsstücke indes nicht namentlich genannt.

Meinung + Diskussion SEITE 12