Kirgisischer Pluralismus ohne usbekische Minderheit

KIRGISIEN Bei den Parlamentswahlen am Sonntag fühlt sich die usbekische Minderheit marginalisiert

Nach den Wahlen dürfte die Regierungsbildung sehr schwer werden

AUS BISCHKEK MARCUS BENSMANN

In Kirgisien geht auf den ersten Blick der Pluralismus um. 29 Parteien werben um Stimmen für die Parlamentswahl am Sonntag. „Bisher können die Parteien ungehindert Wahlkampf führen“, schreiben die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

In der Hauptstadt Bischkek versprechen zahlreiche bunte Wahlplakate den Bürgern „Stabilität“ und „Frieden“. In TV-Runden liefern sich die Parteichefs einen offenen Schlagabtausch. Doch die usbekische Minderheit, knapp 14 Prozent der über fünf Millionen Einwohner, nimmt am Wahlkampf nicht aktiv teil. Seit den Pogromen in den usbekischen Wohnvierteln im Juni in den südlichen Städten Osch und Dschalalabad ist die zuvor wirtschaftlich starke und politisch selbstbewusste Minderheit kaltgestellt.

Den kirgisischen Usbeken bleibt nur das passive Wahlrecht. Sie favorisieren „Ar-Namis“, die Partei des kirgisischen Politikers Felix Kulow, oder die von einem Russen geführten Partei „Sadruschestwo“. Kulow ist kein Nationalist und hält Distanz zur provisorischen Regierung. Die Usbeken machen diese für die Unruhen dieses Jahres verantwortlich.

Nach dem Sturz des kirgisischen Präsidenten Kurmanbek Bakijew im April übernahm die provisorische Regierung unter Leitung der vorherigen Außenministerin Rosa Otunbajewa die Staatsgeschäfte. Deren Mitglieder waren aber allesamt Weggefährten Bakijews und hatten ihm 2005 bei dem Umsturz gegen den ersten Präsidenten Askar Akajew zur Macht verholfen. Die provisorische Regierung wandelte Kirgisien mit Hilfe eines Verfassungsreferendums in eine Parlamentsdemokratie um.

Seit April taumelte Kirgisien von einer Krise zur nächsten. Anfänglich kämpfte die neue Macht in Bischkek gegen die Anhänger des gestürzten Präsidenten, die sich vor allem in Bakijews Heimatstadt Dschalalabad versammelt hatten. Die provisorische Regierung gewann dazu die Hilfe des Usbekenführers von Dschalalabad Kadirschon Batirow, der mit seiner Gefolgschaft die Anhänger von Bakijew im Mai vertrieb. Zum „Dank“ attackierten sie den Usbeken dann als Separatisten.

Der Konflikt entlud sich in den Juniunruhen. „Die Usbeken haben einen Anschlag auf die Souveränität verübt und wir haben zurückgeschlagen“, rechtfertigt der Bürgermeister von Osch, Melis Mirsakmatow, die Plünderungen. Der Usbekenführer Batirow warf im September in einer Videobotschaft aus dem Exil der provisorischen Regierung vor, die Usbeken bewusst als politischen Faktor ausgeschaltet zu haben.

Die kirgisische Parteienlandschaft ist zersplittert. Beobachter gehen davon aus, dass bis zu acht Parteien die Fünfprozenthürde überspringen werden. Zudem müssen in jeder Provinz mindestens 0,5 Prozent der Stimmen errungen werden.

Als Favoriten gilt die Partei „Ata-Meken“ unter Omurbek Tekebajew, der Parlamentspräsident werden möchte, dessen Bündnispartner, die sozialdemokratische Partei, die Oppositionspartei aus dem Süden „Ata Jurt“, sowie die Partei von Felix Kulow. Letztere zieht vor allem die Stimmen der nicht ethnischen Kirgisen an. Eine Regierungsbildung rückt vor diesem Hintergrund in weite Ferne.

Kulow verspricht nach der Wahl wieder eine Präsidialverfassung, denn „sonst versinkt das Land in Chaos“. Bis zur Wahl regiert Otunbajewa mit den Vollmachten des Präsidenten und des Premierministers. Sie hatte sich im Vorfeld verpflichtet nicht selbst für das Parlament zu kandidieren. Sollte nach den Wahlen das Parlament eine Regierung wählen, würden Otunbajewa bis zu den Präsidentschaftswahlen 2011 lediglich repräsentative Aufgaben zufallen.

Doch vor der Wahl am Sonntag könnte Otunbajewa nochmals ihre bisherige Macht zeigen und das Memorandum zur Entsendung der OSZE-Polizeimission in den Süden des Landes unterschreiben. Bisher verweigerte sie dem Dokument ihre Unterschrift wegen des großen Widerstands der kirgisischen Nationalisten. Aus gut unterrichteten Kreisen heißt es jedoch, dass sie kurz vor der Wahl nun doch noch unterschreiben könnte.