EIN FREUND, EIN GUTER FREUND – DER MICH VOR 16 JAHREN EINMAL ZU GELD HAT MACHEN WOLLEN
: Eine beispiellose tschetschenische Gastfreundschaft

„Klaus, drug moi – mein Freund, wo steckst du, brauchst du was, kann ich dir helfen?“

VON KLAUS-HELGE DONATH

Musa ließ es sich nicht nehmen, mich vom Flughafen abzuholen. Über Ecken hatte er von meiner Reise nach Grosny erfahren. Es war ein überschwänglicher Empfang, gerade so, als käme ein Jugendfreund nach Jahrzehnten in die Heimat zurück. Musa und mich verband eigentlich keine besondere Nähe, auch wenn wir vor Jahren aufreibende Tage zusammen verbrachten. Der Mitvierziger stammt aus dem georgischen Pankisi-Tal, wo Kisten leben, Tschetschenen, die vor den russischen Kolonialherren vor mehr als 200 Jahren geflohen waren. 1995 kämpfte Musa auf der Seite der Separatisten und schmuggelte Waffen aus dem Tal zu den Rebellen in den tschetschenischen Bergen. Er sollte mich mitnehmen. Gegen Bezahlung, gute – versteht sich. Zwei Tage ging es bergauf, auf 3.000 Meter wurde plötzlich zum Rückzug geblasen. Unverrichteter Dinge ging es talabwärts, die Recken zu Pferde, ich zu Fuß. Was danach passierte, glich einer Kriminalkomödie. Musas Mannen wollten mich zu Geld machen. Zwei Tage schaute ich in seinem Elternhaus in die Läufe von zwei Kalaschnikows.

Im Kaukasus ist der Gast heilig, stößt ihm etwas zu, ist die Ehre ein für allemal dahin. Des Nachts schlich sich Musas besorgte Mutter ins Zimmer, nahm den eingenickten Rebellen behutsam die Waffen aus der Hand, gab mir ein Zeichen und führte mich im Dunkeln zur Tür. Ich flüchtete in tiefer Nacht, so schnell und so weit mich die Füße trugen. Fast 16 Jahre später regte sich Musas schlechtes Gewissen. In seiner Erinnerung klingt die Geschichte nicht mehr so dramatisch und auch nicht gewinnorientiert: Sie hätten mich für einen russischen Spion gehalten. Wie viele Freischärler wechselte Musa nach dem letzten Krieg die Seite. „Wir sind mal wieder gute Freunde Russlands“, meint er augenzwinkernd.

Seine Fürsorge verfolgt mich nun rund um die Uhr. Wieder klingelt das Handy: „Klaus, drug moi – mein Freund , wo steckst du, brauchst du was, kann ich dir helfen?“ Mohammed hat schon reichlich Flaschen geöffnet und kann Gastfreundschaft nach kaukasischem Brauch nicht mehr aufrecht zelebrieren. Habe ich nun einen neuen echten Freund? Vielleicht nicht fürs Leben, solange es in Grosny ruhig bleibt aber auf jeden Fall.