Wegen „Sittenverbrechen“ inhaftiert

AFGHANISTAN 400 Frauen sind in Haft, nur weil sie vor häuslicher Gewalt oder Zwangsheirat geflohen sind

KABUL afp/taz | In Afghanistan sitzen nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) Hunderte Frauen wegen sogenannter Sittenverbrechen im Gefängnis – etwa weil sie ihren Ehemann verließen oder nichteheliche Beziehungen hatten. Die Zustände seien zehn Jahre nach dem Sturz der radikalislamischen Taliban „schockierend“, erklärte die Organisation am Mittwoch.

Nach Angaben von HRW sitzen landesweit rund 400 Frauen und Mädchen wegen „Sittenverbrechen“ in Gefängnissen oder Haftanstalten für Jugendliche. Viele von ihnen seien vor häuslicher Gewalt oder einer Zwangsheirat geflohen. Einige Frauen und Mädchen seien verurteilt worden, nachdem sie vergewaltigt oder zur Prostitution gezwungen worden seien.

Dem Bericht zufolge werden Frauen „häufig auf Grundlage von ‚Geständnissen‘ verurteilt, die in Abwesenheit von Anwälten gemacht und die von Frauen ‚unterschrieben‘ wurden, die weder lesen noch schreiben können und denen das Geständnis nicht vorgelesen wurde“. Sie würden häufig zu langen Gefängnisstrafen verurteilt, „in manchen Fällen mehr als zehn Jahre“. Einige der 58 inhaftierten Frauen, mit denen HRW sprach, gaben an, sie hätten Angst, nach der Entlassung Opfer eines „Ehrenmordes“ durch Familienangehörige zu werden. „Meine Eltern kommen jede Woche am Besuchstag“, wird die 17-jährige Chalida P. zitiert, die mit einem Jungen weglief, den sie nicht heiraten durfte. „Jedes Mal sagen sie mir, dass sie die Wachen dafür bezahlen werden, mich ihnen zu übergeben, und dass sie mich dann töten werden.“ Eine andere Frau habe gesagt, sie sei glücklich im Gefängnis, weil sie da niemand töten könne. Ein Sprecher Karsais erklärte, die Lage der Frauen habe sich im vergangenen Jahrzehnt „bedeutsam verbessert“, Verfassung und Gesetze würden die Rechte der Frauen schützen.