Das Frohe Fest der Nachbarn

Heute beginnt das dreitägige Opferfest der Muslime. Ein eigenes Opfertier lassen immer weniger schlachten. Stattdessen spenden sie Geld für Notleidende im Ausland. Viel gegessen wird aber trotzdem, und auch an die Nicht-Muslime wird gedacht

VON ALKE WIERTH

Im Fenster des Kindermodenladens von Mustafa El-Khansa an der Sonnenallee glitzern noch die letzten Reste einer Weihnachtsdekoration: Schneeflocken aus Plastik und Girlanden aus künstlichem Tannengrün. Dazwischen leuchtet es rosa und weiß: Prinzessinnenkleider mit viel Spitze und dazu passende Lackschühchen – das Angebot zum Sonntag beginnenden dreitägigen Opferfest.

Die Kinder neu und festlich einzukleiden, ist eine der Traditionen, die muslimische Familien zu diesem Feiertag pflegen. Den Brauch, ein Opfertier zu schlachten, haben die meisten der in Berlin lebenden Muslime längst aufgegeben. Die Mehrheit spendet lieber – auch an islamische Stiftungen, die mit dem gesammelten Geld Opfertiere für notleidende Muslime im Ausland kaufen. Allein die Opfertier-Kampagne der türkisch-islamischen Organisation Milli Görüs hat im vergangenen Jahr Geld für über 70.000 solcher Opfertiere – meist Schafe – zusammengebracht, die dann beispielsweise pakistanischen Erdbebenopfern eine warme Mahlzeit zum Opferfest bescherten. Der Preis für ein Opfertier beträgt in diesem Jahr 100 Euro.

In Berlin kaufen die Feiernden ihren Festtagsbraten lieber beim Metzger. In den Läden entlang der Sonnenallee, die nach religiösen Vorschriften geschlachtete Ware anbieten, drängeln sich in diesen Tagen die Kunden. Der Gammelfleischskandal interessiere die meisten wenig, erzählt ein arabischstämmiger Händler: „Wenn der Verkäufer sagt, mein Fleisch ist sauber, dann glauben die Kunden ihm. So läuft das bei uns.“ Und es stimme dann ja auch, ergänzt ein anderer.

Tatsächlich geht das Fleisch derzeit viel zu schnell weg, als dass es gammeln könnte. Auch beim arabischen Bäcker wird seit Tagen für das Opferfest gebacken: „Rund um die Uhr!“, wie der Besitzer der Bäckerei Umkathum erklärt. Berge mit verschiedenen Sorten von Nüssen gefüllter weißer Grießkuchen stapeln sich im Laden, Baklava und andere Süßigkeiten werden kiloweise verkauft – 12 Euro das Kilo.

Schräg gegenüber im Süßwarenladen Al-Manar kommen die Leckereien nicht ganz so frisch aus dem Backofen. Dafür sind sie aber bereits aufwändig und pompös verpackt. Hier gibt es die Mitbringsel zu kaufen, die bei den Besuchen bei Verwandten und Nachbarn während des Opferfestes verschenkt werden. „Zum Fest kommen viele Leute aus anderen Städten in Westdeutschland nach Berlin“, erzählt Tiba Hijazi, die hier verkauft. „Sie nehmen dann oft Sachen von uns mit, da es solche Geschäfte wie unseres außerhalb von Berlin kaum gibt.“

Sie freue sich sehr auf das Fest, sagt Tiba. Es gefällt ihr gut, dass das Opferfest in diesem Jahr direkt auf Weihnachten folgt. Die geschmückten Straßen, die weihnachtliche Stimmung hätten auch bei ihr die Festtagsfreude erhöht: „Und außerdem können wir so mit den Deutschen zusammen feiern.“ Wie das Opferfest im Herkunftsland ihrer Eltern, dem Libanon, gefeiert wird, hat Tiba nie erlebt: Die junge Frau ist in Berlin geboren.

Manchem älteren Einwanderer arabischer Herkunft fällt es schwerer, in Feiertagsstimmung zu kommen. „In meiner Kindheit war das Opferfest ein Straßenfest, wie ein Rummel. Es begann am Morgen, wenn alle gemeinsam zur Moschee strömten“, erzählt Nader Khalil, der vor 27 Jahren als 12-Jähriger aus dem Libanon nach Berlin kam. Heute sitzt er in der Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung – als Christdemokrat. Die ganze Nachbarschaft, das ganze Dorf habe miteinander gefeiert, erinnert sich Khalil. Hier sei das Opferfest für ihn „ein Fest ohne Seele“.

Auch in Berlin hat das Opferfest heute Morgen mit Gebeten in den Moscheen begonnen. In vielen Gemeinden werden in den nächsten zwei Tagen noch weitere Feierlichkeiten stattfinden: gemeinsames Essen, Gebete, Lesen aus dem Koran. Bei den alevitischen Muslimen gehört zur Opferfest-Zeremonie auch, dass eventuell bestehende Konflikte unter den Gemeindemitgliedern gelöst werden. Dann geht’s zum Feiern im Familienkreis. Neben festlicher neuer Kleidung gibt es für die Kinder dabei auch Geschenke: Außer den traditionellen, Süßigkeiten und Geld, gehörten dazu heute auch „Play-Stations und Nintendos“, sagt Burhan Kesici von der Islamischen Föderation mit leichtem Zähneknirschen. Denn: Die wachsenden Weihnachtswünsche der Schulkameraden beeinflussen auch die Vorstellungen der muslimischen Kinder davon, was angemessene Geschenke sind.

„Spielzeug und vielleicht etwas Geld“ bekämen ihre Kinder zum Opferfest, sagt Jessica El-Rhaiyel vom Vorstand des Islamischen Kultur- und Erziehungszentrums (IKEZ) in Neukölln. Weihnachtsgeschenke haben sie auch bekommen – von der Familie mütterlicherseits. Jetzt wird mit Vaters Familie Opferfest gefeiert. Jessica El-Rhaiyel ist vor 13 Jahren zum Islam übergetreten. Wie viele KonvertitInnen variiert sie das Fest ein bisschen und fügt den alten Traditionen neue hinzu. So bastelt sie beispielsweise mit ihren Kindern zum Opferfest Schmuck für die Wohnung: Girlanden aus Monden und Sternen, dazwischen baumelt ab und an ein kleines Schaf.

Damit auch Nicht-Muslime etwas vom Opferfest mitbekommen, beteiligt sich Jessica El-Rhaiyels Moscheegemeinde mit 14 weiteren muslimischen Vereinen an einer Geschenkaktion. Mit kleinen Kuchenpräsenten, die in den Moscheen gepackt werden, sollen die feiernden Muslime ihre Nachbarn überraschen. „Ein kleines Zeichen für das friedliche Zusammenleben“ wolle man damit setzen, steht auf der beiliegenden Karte – und zum Schluss: „Viele Grüße, Ihre muslimischen Nachbarn“.