Jahresendgeschäfte: Der Sturm vor der Ruhe

Kunst für die Wand? Knut für das Kind? Was, wenn die Bio-Gans ausverkauft ist? Und der Friseur ausgebucht? Kurz vor Weihnachten zählt nur noch der Stress.

Dient im Zweifel als Rammbock im Gedränge: das beste Weihnachtsgeschenk von allen Bild: AP

Die winterlichen Temperaturen lassen die Händler in der Region am vierten Adventswochenende auf gute Geschäfte hoffen. "Die Kälte fördert den Verkauf von Winterkleidung und Sportartikeln", sagte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg, Nils Busch-Petersen, am Freitag. Außerdem würden Händler davon profitieren, dass Heiligabend in diesem Jahr auf einen Montag fällt - also am Wochenende ausreichend Zeit sei, um Geschenke zu kaufen.

"Sonntag wird möglicherweise der umsatzstärkste Tag im Weihnachtsgeschäft." In beiden Ländern dürfen Läden an diesem Sonntag öffnen. Im diesjährigen Weihnachtsgeschäft insgesamt dürfte der Umsatz des Vorjahres aber kaum zu erreichen sein. "Die Latte liegt hoch", sagte Busch-Petersen. Im vergangenen Jahr hätten Händler vor allem davon profitiert, dass Kunden große Käufe wegen der Mehrwertsteuererhöhung Anfang 2007 in die Weihnachtszeit vorverlegt hätten. In diesem Jahr zeigten sie dagegen ein eher zögerliches Kaufverhalten. "Wir hoffen, so dicht wie möglich an den Umsatz des Vorjahres ranzukommen." Ob dies gelinge, werde sich erst nach Heiligabend zeigen. "Die Woche nach Weihnachten ist traditionell sehr umsatzstark, weil die Kunden dann ihre Gutscheine einlösen und schon für Silvester einkaufen."

Zur selben Zeit beklagen die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Aktion "Laib und Seele" das nachlassende Engagement vieler Unternehmen. "Viele Läden spenden immer weniger Waren", sagte Gerhard Lötzsch, der die größte "Laib und Seele"-Ausgabestelle in Staaken bei Spandau aufgebaut hat, am Freitag. Außerdem beteiligten sich gerade große Discounter gar nicht an der Sammelaktion für Bedürftige. DPA, DDP

Der Kunstsupermarkt ist genauso bunt wie die übrigen Geschäfte im dritten Stockwerk der "Alexa". Doch während in den Nippes-, Schmuck- und Parfümerieläden die Hölle los ist, streifen nur wenige Kunden durch den Raum, in dem Ölgemälde, Aquarelle, Drucke und Fotos nach KünstlerInnen sortiert neben- und übereinander hängen. Bisher habe man pro Stunde ein Bild verkauft, sagt ein Verkäufer. Noch etwas mau. Aber die Geschenkgutscheine liefen gut.

Der Wechsel vom mondänen Quartier 205 an der Friedrichstraße in die knallige neue Mall macht sich bemerkbar: "Weniger Laufkundschaft. Und oft wollen Kunden das Werk lieber als Poster. Die muss ich erst vom Wert eines Originals überzeugen."

Die billigsten Originale kosten 50 Euro, die teuersten 299. Das ist sehr billig für ein Kunstwerk, aber doch nicht für jeden erschwinglich. Für die zwei Jungs mit Baseballkappen, die durch die Reihen schlendern, scheint Kunst ohnehin nur bedingt geschenketauglich. "Ääh, gelbe Blumen. Was soll sie denn damit? Dann lieber die rosa Handtasche da drüben. Watt, 299 Euro?" Schnell verschwinden sie zu Nanu-Nana.

Zwei blonde Damen mittleren Alters lassen sich hingegen viel Zeit. Sie gehören zur Stammkundschaft des Fotosupermarktes und sehen das aktuelle Angebot nach Neuigkeiten durch. In erster Linie suchten sie etwas für sich. Falls ein Geschenk abfiele - um so besser. Die Bilder von Stephanie Nückel haben es ihnen besonders angetan: Schmollende Schöne im Art Deko-Look vor wechselnden ornamentalen Hintergründen. Die Braune oder lieber die Freundlichere mit den roten Haaren? Nur die im BH kommt nicht in Frage. Am Schluss entscheidet sie sich für die Braune im braunen Rahmen, die kommt bei der einen Dame ins Wohnzimmer. Die andere darf sie sehen, wenn sie zu Besuch kommt.

An der Kasse herrscht inzwischen Betrieb, ein Ehepaar ersteht eine Miniatur-Öllandschaft im Silberrahmen. Ein Weihnachtsgeschenk? "Ja, für mich selber". Auch Kaufhauskunst ist eine persönliche Angelegenheit. API

Das Spielzeugland Ratzekatz in der Raumerstraße in Prenzlauer Berg: Katzen gibt es hier en masse - aus Stoff, aus Holz, schwarz und weiß und kunterbunt. Aber Eisbären? Keine Chance. "Knut ist ausverkauft", ruft eine junge Mutter ihrem etwa fünfjährigen Sohn zu, der im hinteren Teil des Spielzeuggeschäfts vor einem Playmobilregal steht und sich sein Weihnachtsgeschenk heute selbst aussuchen wollte. Nun guckt er etwas grimmig. Hätte man den Ansturm auf die Eisbären nicht absehen können?

Eine der Verkäuferinnen zuckt ratlos mit den Schultern: "Die Plüsch-Eisbären waren schnell verkauft. Selbst die Schleichfiguren sind schon weg - und der Hersteller kommt mit der Lieferung nicht hinterher."

Aber - und das könnte vielleicht die Rettung sein - in einer Ecke liegt ganz oben auf einem hohen Regal immerhin noch ein letztes Holzpuzzle mit Eisbären-Motiv. Es besteht aus 500 Teilen - und der Superstar aus dem Berliner Zoo ist ganz eindeutig zu erkennen.

"Ach, das ist doch viel zu komplex für ihn", meint die Frau, die sich schon halb abgewendet hat. Inzwischen ist ihr Sprößling nämlich ungeduldig geworden und sieht aus, als überlege er fieberhaft, wie er das Spielzeugregal erklimmen könnte. Möglicherweise hat er das für ihn viel zu hoch liegende Modellflugzeug im Visier.

"Jonas, komm mal her", ruft die Frau ihm zu. "Wir finden schon noch was Anderes". Doch der Kleine steht bockig vor dem Regal. Seine Mutter scheint hilflos angesichts der vier Kinderwagen samt schreiender Kleinkinder, die ihr den Weg versperren.

Auch wenn sich das Weihnachtsgeschäft laut einer Verkäuferin im Vergleich zu den vergangenen Jahren nicht verändert habe. Einen Trend im Spielwarenhandel kann man dennoch benennen, und der hat nach wie vor nur einen Namen: Knut. TGO

Ärger im Bio-Paradies: im LPG-Supermarkt

Was kochen eigentlich die Prenzlauer Bergler, die an Weihnachten nicht nach Westdeutschland fahren? Im Zweifelfall irgendwas Gesundes. Die LPG, "Europas größter Biosupermarkt" am Senefelder Platz, liefert den Beweis. An der Fleischtheke hängt ein großer Zettel: "Vorbestellungen nur bis 8. 12. möglich".

Rund 70 Bestellungen für Gänse, Enten und Puten aus biologischer Aufzucht habe man entgegengenommen, sagt der Fleischermeister. Der Bedarf sei weitaus größer gewesen als das Angebot, "aber mehr geben unsere Zulieferbetriebe einfach nicht her".

Die wenigen stornierten Reservierungen werden Samstag morgen am Tresen ausgelegt, "wer dann zuerst da ist, mahlt zuerst". Er habe durchaus den Eindruck, dass in Berlin traditionell und eher süddeutsch gespeist werde, sagt der Fleischermeister noch. "Viele kommen ja doch von außerhalb."

Wohl auch die junge Frau, die sichtbar genervt mit der linken Hand den Einkaufswagen schiebt und mit der rechten das Handy ans Ohr drückt. Sie hat Soßenbinder, Gemüsebrühe und Rotwein im Wagen, die Speisenfolge scheint jedoch umstritten zu sein. "Also, was ist jetzt mit Madeleine, isst sie nun Rotkohl oder nicht? Ich muss auch mal langsam wissen, was mit den Klößen ist", ruft sie wütend. Auch bei ihr scheint es Gans oder Ente zu geben. Immer noch telefonierend läuft sie ins erste Obergeschoss und holt zwei Flaschen französischen Biorotwein.

Auch die Männer, die sich nebenan in der Kosmetikabteilung von der Verkäuferin beraten lassen, sehen leicht panisch aus. Das gute Gewissen beim Einkauf scheint den Konsumstress nicht wett zu machen. API

Chic sein für die Familie: beim Nobelfriseur

Im Friseurladen Toni&Guy in der Friedrichstraße ist es auffällig ruhig. Nur fünf Kunden sitzen auf den Stühlen, blättern in Zeitschriften und lassen sich Klammern in die Haare stecken. Laut der Rezeptionistin Katja täuscht der Eindruck aber. "Die Woche vor Weihnachten ist extrem viel los", sagt die 27-Jährige und schlägt das Terminbuch auf: Die aktuelle Seite ist überzogen mit Kugelschreiberschrift und neongelben Markierungen. Der Frau, die gerade in den Salon eintritt, teilt sie mit: "Wir sind leider komplett ausgebucht." Zwei weitere Frauen warten schon hinter ihr. Im Fünfminutentakt kommen die Kunden nun in das Gebäude, an dem an der Außenfront Weihnachtskränze samt rosa Schleifen hängen. "Vor Weihnachten lassen sich viele noch schick machen, weil die Familie kommt, und da will man ja toll aussehen", sagt die Rezeptionistin. Auch kämen viele in die "Ruheoase", um den Weihnachtsstress von sich abfallen zu lassen.

Mit frischem Schnitt tritt Monika Kopp aus dem Laden heraus. Nur zufällig sei sie kurz vor Weihnachten beim Friseur gewesen. "Es war lange überfällig", sagt die 56-jährige Sekretärin mit einem Lächeln. Doch ein Wohlfühlprogramm sei es nicht gewesen: "Ich bin froh, dass ich draußen bin. Entspannen tue ich lieber beim Kaffeetrinken."

Der Ansturm auf den Friseursalon habe am Montag begonnen, sagt Katja. Mehr Kunden als sonst würden in der Vorweihnachtswoche ein "Komplettstyling" verlangen: waschen, schneiden, fönen, färben. "Da kommt man schnell mal auf eine runde Summe - eine dreistellige", sagt die Rezeptionistin und verweist diskret auf das Preistäfelchen: Dauerwelle ab 67 Euro steht da etwa. Das Klientel zahle aber momentan gerne mehr, zumal hier kein "Mord und Totschlag" herrsche wie in den Kaufhäusern.

"Ich verstehe schon, dass viele sich für Weihnachten herausputzen, um sich gut präsentieren zu können", sagt Naomi Buck. Gerade ist die 35-jährige Journalistin aus dem Salon gekommen. Sie hat keinen Termin mehr ergattern können. Von Weihnachtsstress ist bei ihr dennoch nichts zu spüren: Sie sei sehr entspannt. Nächste Woche fliegt sie zu ihrer Familie nach Kanada. BVB

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