Vor dem 1. Mai in Berlin: Brot oder Spiele

Sind die erwartbaren Ausschreitungen am 1. Mai Ausdruck von sozialer Unruhe?

30. April: Walpurgnisnacht-Feiern im Mauerpark und am Boxhagener Platz, hier mit Musik.

1. Mai: Die NPD veranstaltet vor ihrer Zentrale in Köpenick ein "Maifest" mit bis zu 1.000 Nazis. Gegenkundgebung mit Demo ab 10 Uhr vom S-Bahnhof Köpenick.

Der DGB zieht ab 9 Uhr vom Wittenbergplatz zum Brandenburger Tor - zu Fuß und auf Rädern.

Die Mayday-Demo startet um 13.30 Uhr am Bebelplatz.

In Kreuzberg ist den ganzen Tag Myfest auf 19 Bühnen. Um 13 Uhr demonstrieren türkischer Kommunisten vom Oranienplatz. Um 18 Uhr startet die Antifa am Kottbusser Tor.

Arena am Ostbahnhof: Hier steigt abends das Finale der Basketball-Euroleague. Dabei: zwei griechische Teams mit verfeindeten Hooligans. Die Antifa lädt die linken Ultras zu sich ein.

Eins ist sicher: Am 1. Mai werden in Berlin wieder Flaschen fliegen. Wahrscheinlich auch Steine. Irgendwas wird brennen. Und anschließend wird wieder heftig darüber gestritten, ob die Ausschreitungen heftiger oder moderater waren als in den Vorjahren. Neu wird nur der Streit darüber sein, ob die Ausschreitungen Teil sozialer Unruhen infolge der Wirtschaftskrise seien oder nicht.

Die Antifa, die die "revolutionäre 1.-Mai-Demonstration" am Abend maßgeblich organisiert, wird jedem Flaschenflug ein soziales Motiv unterstellen. Denn anders als DGB-Chef Michael Sommer oder die SPD-Bundespräsidentschaftskandidatin Gesine Schwan warnt sie nicht vor eskalierendem Unmut, sondern freut sich darauf. "Wir wollen die sozialen Unruhen und wollen alles dafür tun", sagte einer der Demo-Organisatoren. Dennoch muss bezweifelt werden, dass ihnen die Umsetzung an diesem 1. Mai gelingt.

"Es gibt noch keine organisierte und entschlossene große Bewegung für eine Perspektive jenseits des Kapitalismus", heißt es selbst im Aufruf zu der Demonstration. Eine revolutionär kämpfende Organisation müsse in der sozialen Bewegung verankert sein. Denn "wenn die Ausgebeuteten und Unterdrückten sich nicht wehren, bleibt es ein Klassenkampf von oben".

Die Kritik der Demo-Organisatoren am Kapitalismus ist keinesfalls so absurd, wie man ihnen in den Vorjahren vielfach vorgeworfen hat. Ihre Analyse, dass derzeit nicht der Kapitalismus in der Krise, sondern ihr Auslöser ist, gehört mittlerweile fast zum Allgemeingut. Selbst wenn am 1. Mai Steine fliegen - soziale Unruhen sehen anders aus.

In Frankreich beispielsweise wird der gewalttätige Protest auch von der klassischen Arbeiterschaft getragen. Bei der revolutionären Demonstration in Kreuzberg wird das Proletariat jedoch wieder nicht zu sehen sein. So bleibt der Protestzug selbst bei wohlwollender Betrachtung nur die Aktion einer politischen Avantgarde, der es in Deutschland nicht gelingt, das eigentliche Subjekt der Begierde hinter dem Ofen hervorzulocken. Das liegt nicht nur an den hiesigen Sozialpartnerschaften zwischen Unternehmern und Gewerkschaften, denen es bisher noch immer gelungen ist, die größten Konflikte abzufedern. Es liegt auch daran, dass die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise in Berlin bisher zumindest kaum durchgeschlagen sind. Der Berliner geht weiterhin eher shoppen als protestieren.

Eine Übereinstimmung zwischen Demonstranten und Betroffenen ist nur bei der Mayday-Parade zu erkennen, die am Freitagnachmittag in Mitte starten soll. Auch in ihren Aufrufen wird die Überwindung des Kapitalismus gefordert - ganz konkret aber die Verbesserung der Lage von Studierenden, Dauerpraktikanten, Freischaffenden und Leiharbeiten. Und Angehörige dieses Prekariats kann man sich tatsächlich auch als Teilnehmer der Parade vorstellen.

Die Veranstalter der revolutionären Demo setzen derweil auf internationale Unterstützung. Sie haben die Fans des griechischen Basketballclubs Olympiakos Piräus eingeladen, am Freitagabend nach dem Euroleaguehalbfinale in der Arena am Hauptbahnhof die Spreeseite zu wechseln und in Kreuzberg mitzumischen. Als Provokation ist diese Anbiederung an die bekanntermaßen Gewalt nicht abgeneigten Hooligans noch nachvollziehbar. Als politisches Konzept ist es eine Bankrotterklärung. Wer Lust hat, soziale Unruhe zu simulieren, sollte eher umgekehrt zu den schlagkräftigen Griechen in die Arena gehen. Die wurde extra gebaut für Kampfspiele.

Die Sehnsucht nach einer Unruhe, die von einer kämpferischen Klasse mit umstürzlerischem Ansinnen auf die Straße getragen wird, wird sich in keinem Fall erfüllen - auch nicht, wenn ein paar Flaschen fliegen.

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