Kreuzberg: Hausbesetzer geben Roma Asyl

Kreuzberg Im Bethanien beherbergen Hausbesetzer 40 Roma. Die Gruppe wurde von der Polizei aufgegriffen, weil sie im Görlitzer Park campierte. Bezirk sucht nach Lösung.

In der zweiten Etage des Südflügels im Bethanien herrscht ungewohnter Betrieb: Normalerweise versammeln sich hier die Hausbesetzer vom "New Yorck" zum Plenum. Heute aber schallt lautstarkes Romanes über die Flure. Kleine Kinder wetzen mit ihren Rollern durch die Gänge. In der Küche klappern Frauen in langen schwarzen Kleidern mit Pfannen, nebenan sitzen Roma-Jungs auf abgewetzten Sofas unter bunten Autonomen-Postern. Fast vier Jahre halten die "New Yorcker" nun schon den linken Flügel des Bethanien-Hauses am Kreuzberger Mariannenplatz besetzt. Dieser Besuch ist aber eine Premiere: Seit Dienstag gewähren die Linken rund 40 Roma Asyl.

Iris Mechtel* von den "New Yorckern" sitzt mittendrin im Gewusel. "Diese Menschen befinden sich in einer Notsituation, in der wir ihnen helfen wollen", sagt die Besetzerin. Immer wieder tippen einzelne Roma Mechtel auf die Schulter, fragen nach Töpfen oder Duschmöglichkeiten - auf Romanes, manchmal auch auf Spanisch, meistens aber mit Händen und Füßen. "Das ist schon eine kulturelle Begegnung der besonderen Art", lächelt Mechtel. Die Kommunikation verlaufe holprig. Inzwischen koche man aber regelmäßig zusammen. Neben Mechtel stapeln sich Kisten mit Spargel, Tomaten und Kartoffeln. Normalerweise treffen sich die Aktivisten hier zum Plenum. Jetzt ist der Raum Schlafsaal für die Roma. In der Ecke stapeln sich durchgelegene Matratzen.

Die Geschichte mit dem Asyl begann am Dienstagmorgen im Görlitzer Park, gleich um die Ecke. Bereits mehr als zwei Wochen soll dort die Roma-Gruppe campiert haben, als Polizisten zufällig auf das Lager stießen, berichtet Polizeisprecherin Kerstin Ziesmer. Fotos zeigen ein Lager aus Matratzen, Decken, Schlafsäcken und Kinderwagen - Zelte gab es nicht. Weil laut Ziesmer auch "verdreckte Kleinkinder" angetroffen wurden, hätten Beamte das Jugendamt informiert und über eine Räumung beraten. Inzwischen hatten auch die Besetzer von dem Polizeieinsatz erfahren, eilten zum Park - und schlugen eine Aufnahme der Roma bei sich vor.

"Die Gruppe war eingeschüchert und wollte sich nicht von der Polizei in Notunterkünfte bringen lassen, weil sie Repression fürchteten", so Mechtel. Die Polizei sei "sehr rabiat" vorgegangen. Auch ein Mitarbeiter aus der Bezirksverwaltung berichtet von einem "überzogenen Einsatz". Polizeisprecherin Ziesmer spricht dagegen von einem "normalen Einsatz". Der Beherbergung der Roma im Bethanien habe man schließlich in Übereinkunft mit dem Jugendamt zugestimmt. Von Amts wegen wurde aber eine Anzeige wegen einer möglichen Verletzung der Fürsorgepflicht für die Kinder gestellt, so Ziesmer.

Beim Jugend- und Sozialamt des Bezirks ist man in der Zwickmühle: Einerseits müsse man sich um das Kindeswohl kümmern, andererseits wolle man nicht die Familien auseinanderreißen, so Monika Herrmann, grüne Sozialstadträtin in Friedrichshain-Kreuzberg. Der Einsatz der Bethanien-Leute sei "toll", aber keine Dauerlösung. Zudem handele es sich bei der Etage nicht um Wohnraum.

Am Mittwoch saßen sie deshalb alle am Tisch im Bethanien: ein Vertreter vom Jugendamt, einer vom Sozialamt, die Roma und die Hausbesetzer. Es sei kooperativ zugegangen, berichten Teilnehmer. Die Roma hätten sich Hilfe gewünscht. Am Ende erklärten sie sich bereit, Wohnraum in der Innenstadt zu beziehen. Nur über ihre Herkunft hätten sie weiter geschwiegen, so Herrmann. "Bis Montag will unser Sozialamt geeignete Unterkünfte finden."

Iris Mechtel blickt auf den Trubel und bläst die Wangen auf: "Bis Montag stoßen wir hier an unsere Grenzen." Es fehle an Ressourcen und Platz. "Wir arbeiten politisch, nicht als Sozialprojekt", so Mechtel. Zudem sei die Roma-Gruppe inzwischen merklich angewachsen. Bis zu 60 Roma hat der Bezirk zwischenzeitlich im Bethanien gezählt.

Immerhin, es kommt Hilfe von außen: Die "Berliner Tafel" und Wagenburgler haben Lebensmittel vorbeigebracht, von einem Hausprojekt kamen Matratzen. Der Bezirk hat den Besetzern einen Sozialarbeiter zur Seite gestellt, der Romanes spricht. Für Stadträtin Herrmann liegen keine Verstöße gegen die Fürsorgepflicht mehr vor. "Die Kinder haben ein Dach über dem Kopf, für Essen und sanitäre Versorgung ist gesorgt", so Herrmann.

Für die Stadträtin stellt sich aber eine ganz andere Frage: "Dass so lange niemand die Gruppe im Görlitzer Park bemerkt hat, wirft Fragen auf." Auch die Linken-Abgeordnete Evrim Baba kritisiert, dass sich erst so spät um die Roma gekümmert wurde. Baba saß am Mittwoch mit am Tisch, sie hat inzwischen den Senat um Mithilfe bei der Unterkunftsuche gebeten. "Die Roma haben berichtet, dass die Polizei sie schon mehrmals zuvor im Park aufgesucht hat. Warum hat es da nicht früher eine Kommunikation mit den Behörden gegeben?", fragt sich die Linken-Politikerin. Baba fordert eine "schnelle und unbürokratische Lösung für eine menschenwürdige Unterbringung".

Die Hausbesetzer vom "New Yorck" gehen noch weiter. Die Politik müsse ihren Umgang mit Roma grundsätzlich überdenken - auf kleinster wie auf europäischer Ebene. "Roma fallen durch alle Raster", ärgert sich Mechtel. "Diese Leute kommen doch nicht aus Spaß hierher, sondern weil sie vor unwürdiger Armut und rassistischen Angriffen flüchten."

Ein Mitbewohner Mechtels bittet derweil auf spanisch eine Gruppe Roma-Männern, heute Abend einen Raum freizumachen - den brauche man für eine Gesprächsrunde. Die Männer schauen angestrengt und nicken schließlich. Nebenan haben zwei Roma-Jungs den Kickertisch entdeckt. Glucksend bearbeiten sie die Kurbeln, während über ihren Köpfen ein rotes Transparent baumelt: "Kein Mensch ist illegal".

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