„Die Hauptstadt im Pausenmodus“

ANSCHLÄGE Mutmaßliche Täter sehen sich nicht als Terroristen. Tat soll zeitgemäße Streikform sein

„Vielleicht hältst Du es für anmaßend, dass wir diesen Eingriff in Deinen Alltag herbeigeführt haben“

Eine offenbar linksextreme Gruppierung namens Hekla hat sich am Montag zu den Brandanschlägen auf die Bahn bekannt. In dem im Internet verbreiteten Text heißt es: „Rien ne va plus! Heute geht nicht viel! … Sabotagehandlungen an mehreren Kabelschächten mit der Bahn zwingen die Hauptstadt Berlin in den Pausenmodus. Dazu haben wir Brandbeschleuniger und elektronische Zeitgeber verwendet.“ Das Landeskriminalamt (LKA) Brandenburg hält das Schreiben nach einer vorläufigen Bewertung für authentisch.

Der Text beginnt mit einer Kurzfassung auf Deutsch und Englisch, anschließend folgt eine etwa acht DIN-A4-Seiten entsprechende Erklärung. Anders als ältere Bekennerschreiben aus der linksextremen Szene hangeln sich die Autoren nicht an komplexen Polittheorien entlang. Der übliche verschwurbelte Politsprech fehlt fast vollständig. Stattdessen proklamieren sie eine fast schon romantisch klingende Weltsicht: „Raum entsteht, wenn die Mobilität zur Ruhe kommt. Wenn das Handy nicht nervt. Denn heute funktioniert nichts so richtig … Der Tag gehört Dir. Die Stadt hält den Atem an, verlangsamt ihr Tempo, vielleicht hält sie inne. Entschleunigung.“

Der 10. Jahrestag des Afghanistankriegs wird als ein Anlass unter vielen genannt: „Warum das alles? Warum ausgerechnet heute? Jeder Tag wäre der richtige Tag für eine Sabotage, denn jeder Tag bietet so viele Anlässe für radikales Eingreifen in den üblichen, tagtäglichen Ablauf, dass es keinen falschen gibt.“

Mit dem Satz: „Jeden Tag werden über die Schienen Waffen und Kriegslogistik transportiert“, wird die Bahn als Anschlagsziel, mit der Formulierung: „Jeden Tag werden in der europäischen Hauptstadt Geschäfte abgeschlossen, die den Hunger und die weltweite Verelendung verlängern und vergrößern“, wird die Wahl von Berlin als Anschlagsort begründet. Kaum driftet der Text in komplexe globale Zusammenhänge ab, folgt die rhetorische Frage: „Das hat nichts mit Dir zu tun?“, und prompt folgt mit den Stichworten Kinderarmut in Berlin, Leistungsdruck, „Schwarzfahrer im Knast“ und Kürzungen von Hartz-IV-Sätzen die Antwort.

Die Autoren sind sich bewusst, dass sie sich mit dem Anschlag gegen den Mainstream richten. „Vielleicht hältst Du es für anmaßend, dass wir diesen Eingriff in Deinen Alltag herbeigeführt haben. Sicher, Du hast recht – das ist anmaßend. Aber wieviel anmaßender wäre es, nicht gehandelt zu haben?“ Sie antizipieren zudem die öffentlichen Reaktion: „Vielleicht wird die Sabotage als das Werk von Idioten oder von Terroristen gebrandmarkt – oder als das von terroristischen Idioten. Wir sagen: lächerlich!“ Denn, so heißt es weiter, „wir liefern keine Waffen, wir bauen sie auch nicht – wir unterbrechen nur die Funktionsfähigkeit einer kriegswichtigen europäischen Hauptstadt“. Insgesamt wollen die Autoren den Anschlag als „innere Reibung“ verstehen, die „könnte für die vernetzte Gesellschaft das werden, was der massenhafte Streik für das Industriealter war“.

Benannt hat sich die Gruppe nach dem isländischen Vulkan Hekla. Bei dem ähnlichen Anschlag auf Bahnkabel am Ostkreuz im Mai hatte der Vulkan Eyjafjallajökull als Namensgeber gedient, der mit seinen Aschewolken den Flugverkehr lahmgelegt hatte. GA