Kulturprojekt sucht neuen Ort: BMW verfährt sich in Kreuzberg

Nach dem Rückzug des Kunstprojekts BMW Guggenheim Lab aus Berlin-Kreuzberg wird diskutiert, ob der Kiez zu einem Hort der Intoleranz geworden ist.

Hier sollte das Lab hin: Brache an der Cuvry-Straße. Bild: dpa

Mal wieder Kreuzberg. Dauerattacken auf die Nobel-Carlofts, Steinwürfe auf die O2-Arena, Hassdebatten gegen Touristen. Und nun das „BMW Guggenheim Lab“, vertrieben vom Spreeufer.

Schon tobt die Debatte: Kreuzberg, Insel der Intoleranz? Da wettert Innensenator Frank Henkel (CDU) gegen „Chaoten“ als „Standortrisiko für Berlin“. Verurteilt der Regierende Klaus Wowereit (SPD) die „plumpen Drohungen“ gegen ein Projekt, dem die Stadt „den roten Teppich ausrollen“ müsse. Spricht Tourismuschef Burkhard Kieker von „einzelnen Kreuzberger Gruppen“, die zum Problem würden.

Was war geschehen? Am Montagabend erklärte die New Yorker Guggenheim-Stiftung den Rückzug ihres „BMW Guggenheim Lab“ aus Kreuzberg – „in Folge von Drohungen gegen das Projekt“.

BMW ist dabei gescheitert, auf der Welle der Coolness mitzureiten und ein bisschen vom Rebellen-Image Kreuzbergs für die eigene Marke abzugreifen. Andere Konzerne machen es klüger - und sind, mehr oder weniger offen, seit langem als Förderer von Alternativ-Kultur im Kiez präsent.

Adidas gab 2009 etwa den UrbanArtGuide für Berlin heraus, eine App fürs Handy, die auf Spuren von StreetArt-Künstlern in Kreuzberger Hinterhöfe und andere Alternativorte führt. Zur WM 2006 kooperierte Adidas mit der Bar25, damals angesagte Alternative-Party-Location am Spreeufer. Der Zigaretten-Konzern Philipp Morris unterstützte von 1993 bis 2004 das Stipendiatenprogramm des Künstlerhauses Bethanien, der Karneval der Kulturen wird unter anderem vom Bierhersteller Corona gesponsert. Die StreetUniversity, ein Projekt für Jugendliche, das auch Musik- und Straßenkunstprojekte anbietet, wird von staatlichen Stellen und Kultureinrichtungen, aber auch von DaimlerBenz, O2 und Microsoft unterstützt.

Klassisch ist das Sponsoring durch Konzerne auch in der Rap- und Skater-Szene. Nur wenige Berliner Festivals werden nicht von Modelabeln, Musikkonzernen oder Getränkeherstellern gesponsert - ganz groß ist dabei etwa Red Bull, der unter anderem Turniere und HipHop-Wettbewerbe für Mädchen organisiert. (js)

Auf der Brachfläche Schlesische Ecke Cuvrystraße unweit der Oberbaumbrücke wollte das Kulturprojekt ab dem 24. Mai neun Wochen lang mit Künstlern, Architekten und Aktivisten über „urbanes Leben der Zukunft“ diskutieren. Passé. Man könne das „Risiko gewalttätiger Übergriffe nicht eingehen, wie sie von einer kleinen Minderheit angedroht wurden“, begründet die Stiftung ihre Flucht.

Die Polizei konkretisiert: In einer Gefahrenanalyse habe man mitgeteilt, dass aufgrund von Aufrufen im Internet mit Sachbeschädigungen, „in erster Linie Farbschmierereien“, auch Steinwürfen zu rechnen sei, so ein Sprecher. Man habe einen Wachschutz vorgeschlagen. Auch könnten Veranstaltungen „lautstark“ gestört werden. Angriffe auf Personen seien aber nicht zu erwarten.

Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) hätte sich von der Stiftung eine andere Entscheidung gewünscht: „Ein offensiver Umgang mit der Kritik wäre besser gewesen.“ Gleichzeitig hätten die Gegner „eine große Chance vertan und sich selbst geschadet“. Das „Lab“ hätte eine gesamtstädtische Debatte anstoßen können. Aber Kreuzberg als Hort der Intoleranz? Schulz verneint. „Kritisch diskutieren ist doch etwas Positives.“

Seit Wochen hatten Kreuzberger aus dem Anti-Mediaspree-Umfeld gegen das „Lab“ gewettert. Das Projekt sei ohne Mitsprache der Anwohner entstanden, eine „Imageveranstaltung des BMW-Konzerns“ und privatisiere ein Stück Spreeufer. Den Rückzug nennt Initiativensprecher David Kaufmann nun einen „super Erfolg“: „BMW hat erkannt, dass seine Show im Kiez politisch nicht durchsetzbar ist.“ Dass mit körperlicher Gewalt gedroht worden sei, bezeichnet Kaufmann als „Lüge, um das Gesicht zu wahren“. Intoleranz? Aber ja, so Kaufmann – wenn es gegen Aufwertung und Kapitalinteressen gehe. „Wenn Kreuzberg durchgentrifiziert wird, kann auf zivilen Ungehorsam nicht verzichtet werden.“ Und über zukünftiges Leben diskutiere man „gerne ohne BMW“.

Genau diese Haltung macht Christoph Tannert, Geschäftsführer des Künstlerhaus Bethanien, wütend: „Es gibt in Kreuzberg eine Besserwisser-Ideologie, die allen schadet.“ Er selbst verließ 2010 das besetzte Bethanien im Streit mit Autonomen. Deren „Linksdogmatismus“ bestimme zunehmend, welche Meinungen vertreten werden dürften. Auch Tannert kritisiert das „BMW Guggenheim Lab“, das sich „mit einem Weltbeglückungsanspruch in Szene“ setze. „Diese Kritik kommt aber nicht mit dem Knüppel der Vertreibung daher.“

Von einer „unschönen Situation“ spricht Ralf Gerlich von den Kreuzberger Piraten. „Mehr Kommunikation“ hätte die verhindern können. Gerlich verweist auf den Bürgerentscheid Mediaspree. 87 Prozent der Friedrichshain-Kreuzberger hatten 2008 gegen eine Spreeufer-Bebauung gestimmt. "Gefolgt ist daraus nichts." Nun, so Gerlich, fühlten sich die bestätigt, die auf Drohungen statt Dialog setzten. "Das hätte so nicht kommen müssen."

Für die Guggenheim-Stiftung dürfte der Kreuzberger Aufstand ein Déjà-vu sein. Schon beim Auftakt der „Lab“-Tour in New York im August 2011 gab es Proteste – die Stiftung hielt sie damals aus. Man werde „auf jeden Fall“ einen neuen Standort in Berlin suchen, heißt es nun. Wo, sei noch offen. Diskutiert wird der Pfefferberg im Prenzlauer Berg. Den hatte die Stiftung schon mal ins Auge gefasst, sich dann aber für das unangepasstere Kreuzberg entschieden – zu unangepasst vielleicht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.