Wohnen in Berlin: Verlierer der Stadtentwicklung

Eine sechsköpfige Familie droht ihre Wohnung zu verlieren. Sie bezieht Hartz IV, für die Miete überweist das Jobcenter einen Sockelbetrag. Doch die Kosten steigen weiter.

Armut geht in Deutschland oft auf Kosten von Kindern. Bild: DAPD

Sechster Stock, der oberste im blassgelben 70er-Jahre-Bau in der Nähe vom S-Bahnhof Yorckstraße in Schöneberg. Ein geräumiges Wohn- und Esszimmer mit Balkon, Küche, Bad und WC. Schlafzimmer und drei Kinderzimmer sind jeweils zehn bis zwölf Quadratmeter groß. Die beiden älteren Töchter, 17 und 19, beide auf dem Weg zum Abitur, haben eigene Zimmer, die jüngste Tochter, 15, und der Sohn, 13, teilen sich eines.

Die Wohnung der Familie K. misst 113 Quadratmeter und kostet im Monat 1.231 Euro warm. 500 Euro zu viel, meint das Jobcenter. Familie K. soll ausziehen und sich eine Wohnung suchen, die ausreichend Platz für sechs Personen bietet – und maximal 755 Euro warm kostet. Das, zeigt ein Blick in verschiedene Immobilienportale, ist nicht nur in der Berliner Innenstadt längst unmöglich. Selbst in Marzahn, Hellersdorf oder Spandau gibt es eine Wohnung mit rund 100 Quadratmetern nicht unter 800 Euro. Und ein Umzug an den Stadtrand würde nicht nur die Eltern und die vier Kinder aus ihrer bisherigen Umgebung reißen, sondern auch dem chronisch kranken Vater mehrmals wöchentlich lange Strecken zu den notwendigen Arztbesuchen zumuten. Am heutigen Montag verhandelt das Berliner Sozialgericht über den Fall.

Der dient als Beispiel für die Verdrängung langjähriger Mieter aus der Innenstadt – und dafür, wie realitätsfern die Vorgaben der Jobcenter angesichts rasant steigender Mieten in Berlin sind. 1997 zog Familie K., damals noch mit drei Kindern, in die Wohnung in der Schöneberger Steinmetzstraße, davor hatte sie nur eine Straße weiter gewohnt. Obwohl die Wohnung zum sozialen Wohnungsbau gehörte und für den Bezug ein Wohnberechtigungsschein nötig war, war die Miete mit 2.000 Mark schon für damalige Verhältnisse nicht wirklich günstig, aber zu diesem Zeitpunkt kein Problem: „Ich habe ja gearbeitet“, sagt Herr K., gelernter Zahntechniker.

Die Förderung für den sozialen Wohnungsbau jedoch läuft seit Ende der 1990er Jahre schrittweise aus – die Miete wird seither zweimal jährlich erhöht, zum April und Oktober. Seit April beträgt sie 1.231 Euro. Weil die Mieten in Schöneberg insgesamt stark steigen, liegt die Kaltmiete zwar immer noch unter dem üblichen Mietspiegel in der Gegend. Weil die Wohnung der Familie K. aber unter dem Dach liegt und sich daneben keine weiteren Wohnungen befinden, sind die Heizkosten relativ hoch.

2004 ging das Unternehmen, in dem der Familienvater zuletzt arbeitete, in die Insolvenz, er wurde arbeitslos. Eineinhalb Jahre erhielt er Arbeitslosengeld, dann Hartz IV. Die Miete für die Wohnung, befand das Jobcenter 2007, sei zu hoch. Familie K. machte sich auf die Suche nach einer günstigeren Bleibe, zunächst in Schöneberg, dann in allen Innenstadtbezirken. Ohne Erfolg. Ab Juli 2008 zahlte das Arbeitsamt für die Miete nur noch den Sockelbetrag von 755 Euro.

Der Vater leidet an einem Hypophysentumor, der auf den Sehnerv drückt, er ist als schwerbehindert anerkannt, muss regelmäßig verschiedene Fachärzte aufsuchen, sein Zustand kann sich jederzeit verschlechtern. Da er sich gut mit Computern auskennt, fand K. dennoch einen Nebenjob in einem Computerladen in der Nähe, aus dem zusätzlichen Einkommen wurde die Differenz zwischen Sockelbetrag und Miete ausgeglichen. „Wir verzichten auf vieles, für uns kaufen wir nichts, keine Kleidung, nichts. Nur für die Kinder“, erzählt Frau K. Im Urlaub waren sie schon lange nicht mehr.

Die Familie hat sich damit arrangiert, Schöneberg ist schließlich ihr Zuhause, die Kinder sind hier geboren, gehen hier zur Schule. Damit könnte es jetzt bald vorbei sein: Der Laden, in dem Herr K. arbeitete, ging Ende vergangenen Jahres pleite, K. wurde zum Dezember gekündigt. Seither hat die Familie das fehlende Geld für die Mietdifferenz aus einem Dispo-Kredit gezahlt – und weiterhin fieberhaft nach Wohnungen gesucht, die günstig genug waren, dass das Jobcenter einen Umzug erlaubt. „Andere Wohnungen hat das Jobcenter abgelehnt, weil sie für sechs Personen zu klein seien“, sagt Frau K. Nach dem Sozialgesetz sollten für sechs Personen mindestens 120 Quadratmeter vorhanden sein.

Die rot-schwarze Regierung hat angekündigt, die maximalen Kosten für den Wohnraum von Hartz-IV-Empfängern zu erhöhen. Der Familie K. stünden dann rund 830 Euro für die Warmmiete zur Verfügung. Sozialvereine kritisieren, die zum Mai geplanten Erhöhungen seien angesichts der Mietentwicklung in Berlin bei weitem nicht ausreichend. Selbst für 830 Euro stünden in ganz Berlin nur 13 Wohnungen zur Verfügung, sagt die Anwältin der Familie, Anja Weidner: drei in Hellersdorf, neun in Marzahn, eine in Köpenick. Zu klein seien sie für sechs Personen aber alle.

Jetzt hat Familie K. eine Wohnung in Aussicht – in Staaken, Spandau. 98 Quadratmeter für knapp 900 Euro. Ein Umzug würde dem in eine andere Stadt gleichen, die beiden jüngeren Kinder müssten die Schule wechseln. Herr K. fürchtet vor allem, künftig für Arztbesuche durch die halbe Stadt fahren zu müssen. Und dass es von dort noch viel schwieriger wird, einen Job oder Nebenjob zu finden. „Hier gibt es viele kleine Läden, ich kenne viele Leute, da ist das einfacher. Aber dort?“

Vor dem Sozialgericht geht es nun nicht um die aktuelle Miete, sondern die Übernahme der Mietdifferenz für die Zeit von Juli bis Dezember 2008. Ein Eilantrag wurde damals abgelehnt. Für Anwältin Weidner ist das Urteil aber auch wegweisend dafür, welcher Spielraum der Familie in der aktuellen Situation bleibt.

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