Forum: Liebe in der Pariser Vorstadt: Liebe ist stärker als auf dicke Hose machen

In "Regarde-moi" (Forum) schildert die junge französische Filmemacherin Audrey Estrougos, wie große Gefühle Jugendliche in der Pariser Banlieue durcheinanderbringen.

Der doppelte Blick, der männliche und der weibliche. Bild: berlinale

Julie (Emilie de Preissac), weiß, und Fatimata (Eye Heidara), schwarz, lieben beide denselben schwarzen Jungen Jo (Terry Nimajimbe). Der liebt einzig Julie, vor allem aber ist er auf dem Sprung. Er ist ein erstklassiger Fußballer und hat ein Angebot vom FC Arsenal. Audrey Estrougos Filmdebüt "Regarde-moi" zeigt auf engem Raum eine Welt: eine Sozialsiedlung in der Banlieue von Paris. Die Regisseurin, 1983 geboren, hat selbst in einer solchen Siedlung gelebt, vier Jahre lang, als ihre Familie aus der Innenstadt dorthin zog.

Der Film nähert sich der Geschichte der Liebeskonkurrenz zwischen Julie und Fatimata keineswegs frontal. Geduldig werden in Szenen Beziehungskonstellationen entworfen, deren Zusammenhang sich nach und nach erst ergibt. Wir sehen, wie die Jungs mit den Jungs herumhängen, die Mädchen mit den Mädchen. Sprachvorschriften, strenge Verhaltenskonventionen, ungeheuren Gruppendruck gibt es für beide. Die Sprache muss hart sein, in der Sprache muss man sich panzern gegen jede Schwäche, gegen jedes Zeichen von Abhängigkeit. In dieser Welt gibt es, darin lässt Estrougo die Enge dieser Welt kristallisieren, nur Rudimente einer Sprache der Liebe.

Es geht "Regarde-moi" zuerst und zuletzt um Geschlechterverhältnisse und das Unbehagen an ihnen. Die Bedeutung der Hautfarbe - Weiße sind Außenseiter, zugleich begehren die schwarzen Jungs aber meist die weißen Mädchen - wird nicht verschwiegen, die Geschlechterbeziehungen entfaltet der Film mit kritischer Intention, aber in ihrer ganzen Komplexität. Als männliche und weibliche Gruppenselbstverhältnisse ebenso wie als Verhältnisse der beiden Geschlechter zueinander. In der Rede der Männer tauchen die Frauen nur auf als Schwester oder Sexobjekt. Aber auch die Frauen verbieten es sich, eine jede der anderen und dann natürlich auch eine jede sich selbst, schwach zu werden, wenn einer der Jungs ihnen gefällt. Audrey Estrougo führt die Redens- und Schweigensarten ebenso vor wie die Arten des Lungerns, Herumstehens, Sanktionierens und Verbietens mit Blicken und Worten.

Mit voller Absicht aber führt sie, als Sprengsatz, an dem die Beziehungen und die Worte eskalieren, dann das Begehren ein, dessen mit den Sprachregelungen der Stärke nicht Herr zu werden ist. Und nach einer Dreiviertelstunde offenbart der Film dann seinen eigentlichen Clou: Er erzählt dieselben Geschichten in zwei Durchläufen. Aus männlicher Perspektive zunächst, dann aus weiblicher. Man sieht viele Szenen zweimal - am eindrücklichsten jene, in der Fatimata sich schminkt und, zum Entsetzen ihres Bruders, zum Gespött ihrer Freundinnenclique, eine blonde Perücke aufsetzt, um Jo als "Weiße" zu gefallen. Der doppelte Blick, der männliche und der weibliche, zerreißen auch den Betrachter zwischen den Identifikationen. Man wird, auch wenn man, wie der Film selbst, zuletzt mit Julie sympathisiert, den Blick all der anderen nicht mehr vergessen können - denn man hat ihn geteilt.

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