Philippinen-Kino: Losgehen und drehen

Die Philippinen erleben gerade eine Kino-Renaissance. Billige Digitaltechnik machts möglich. Die Berlinale zeigt einige der Filme - die auch davon leben, die Beschränktheit ihrer Mittel auszustellen.

Im Berlinale Forum: "Das Pferdemaul eines Ingenieurs auf der Suche nach mechanischen Sätteln". Bild: berlinale

Der Film ist so seltsam wie sein Titel: "The Muzzled Horse of an Engineer in Search of Mechanical Saddles". Auf Deutsch heißt das etwa: "Das Pferdemaul eines Ingenieurs auf der Suche nach mechanischen Sätteln". Die Kamera hastet mit einem Mann durch die Straßen und Shopping-Malls von Manila. Meistens klebt sie an seinem Körper, immer steht sie unter Strom. Am Rande seines Sichtfelds fängt sie mehrmals Pferde ein - mal als Leuchtreklame, mal als Plakat. Dann wieder führt ein Zwischenschnitt auf eine Koppel weit weg von der städtischen Szenerie. Aus dem Off sind dazu aufdringlich-schrammelige Musik und ein Voice-over zu hören; das Voice-over besteht in erster Linie aus unverblümt vorgetragenen sexuellen Obsessionen. Für Bruchteile von Sekunden werden Schwarz-Weiß-Bilder aus älteren Pornos in die Szenen hineinmontiert. "The Muzzled Horse " entspricht dem, was man in der Literatur stream of consciousness nennt.

"The Muzzled Horse" stammt von dem philippinischen Regisseur Khavn De La Cruz, der, obwohl erst 35 Jahre alt, schon 19 Lang- und über 60 Kurzfilme gedreht hat. Neben ihm finden sich noch drei weitere Filme im Programm des Forums, die in dem ostasiatischen Inselstaat entstanden sind. Dank kostengünstiger digitaler Technologie erleben die Philippinen zurzeit eine Kino-Renaissance; Regisseure wie Brillante Ma. Mendoza oder Lav Diaz knüpfen an die reichhaltige Produktion der Siebziger und Achtziger an - damals zeichnete zum Beispiel der 1991 verstorbene Lino Brocka für insgesamt mehr als 60 Filme verantwortlich.

Das Forum legt Zeugnis von diesem Wiedererstarken ab - wobei von einer Hochkonjunktur der Filmindustrie nicht die Rede sein kann; eher geht es um das Wiedererstarken der unabhängigen Produktion, die dank der digitalen Technologien auch mit wenig Geld zu bewerkstelligen ist und oft zu ungewöhnlichen Formen führt. Ein Film wie "The Muzzled Horse " stellt die Begrenztheit seiner Mittel aus und macht aus der Not eine ästhetische Setzung. Der Film wirkt immer wieder, als wäre ein Dreimannteam - der Regisseur, der Kameramann Albert Banzon und der Hauptdarsteller Ian Lomongo - einfach losgezogen, um spontan zu drehen.

Die anderen Filme sind konventioneller. "Tribu" von Lim Libiran und "Tirador" ("Schleuder") von Brillante Ma. Mendoza spielen in Manila; jener handelt von Jugendgangs und ihren tödlichen Auseinandersetzungen, dieser von den Bewohnern einer heruntergekommenen, slumähnlichen Gegend, die sich mit kleinen Tricks, Betrügereien und Diebstählen über Wasser halten. Wahlen stehen vor der Tür, und mehr als einmal lässt der Regisseur durchscheinen, dass Armut kein guter Boden für demokratische Verhältnisse ist. Wer Hunger hat, gibt seine Stimme dem, der am besten zahlt.

In beiden Filmen entfaltet sich der Plot über die Perspektive eines Kindes, in beiden betreibt der Regisseure so etwas wie filmische arte povera: Man hat es mit Laiendarstellern zu tun, mit schlierig-schnellen Digitalvideobildern und mit einer hektischen Kameraführung, die die Nähe zu den Leibern der Figuren sucht. So wenig die labyrinthische Topografie des Slums Überblick zulässt, so wenig ist es dem Publikum gestattet, sich zurückzulehnen und zu kontemplieren. "Tribu und "Tirador" sind Filme, die unter Hochdruck stehen und diesen Druck ungebremst an ihre Zuschauer weitergeben.

Ruhiger geht es in "Balikbayan Box" von Mes De Guzman zu. Der Titel bezieht sich auf die Geschenkpakete, die philippinische Migranten ihren zu Hause gebliebenen Verwandten schicken. In dem Landstrich, in dem der Film angesiedelt ist, haben alle Figuren Angehörige in den USA, in Japan, Hongkong oder Europa, und die meisten träumen davon, selbst den Absprung zu schaffen. Behutsam blättert Mes De Guzman ein Panorama stiller Verzweiflung und gekappter Bindungen auf; auch er heftet sich über weite Strecken des Films an die Fersen der Kinder, um seine Erzählung voranzubringen. Am Ende treibt die titelgebende Box auf einem unbemannten Kanu den Fluss hinunter. Die Ruhe des Filmes bleibt gewahrt, trotzdem steckt in der Einstellung ein tieftrauriges Geheimnis - "Balikbayan Box" packt in diesem Augenblick den ganzen Überschuss des Melodrams in ein zurückhaltendes, stilles Bild.

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