Eine der beiden Tannen muss fallen

„Mitte Ende August“ von Sebastian Schipper im Forum

Wohin man auch schaut im jungen deutschen Kino, überall drängen sich Häuser in den Vordergrund, spielen als Nebenfiguren oder als heimliche Hauptfiguren mit, treiben die Handlung voran oder bringen sie zum Stagnieren. In Thomas Arslans „Ferien“ ist es ein Landhaus in der Uckermark, in „Ping Pong“ von Matthias Luthardt eine Villa mit Pool, in „Milchwald“ von Christoph Hochhäusler ein unfertiger Neubau auf dem flachen Land östlich von Berlin. Zahlt eigentlich da draußen niemand mehr Miete für eine Etagenwohnung?

In Sebastian Schippers Beitrag zum Forum, „Mitte Ende August“, kaufen die Protagonisten ein renovierungsbedürftiges, isoliert inmitten von Feldern stehendes Haus irgendwo zwischen Hamburg und Berlin. Ein See gehört zum Grundstück. Hanna (Marie Bäumer) und Thomas (Milan Peschel) gehen die Renovierung unkonventionell an. Thomas haut mit dem Vorschlaghammer ein Loch in die Außenwand, um später eine Tür einzubauen, Hanna schaut ihm dabei halb amüsiert, halb besorgt über die Schulter; dass die Wand tragend sein könnte, zieht nur sie ernsthaft in Erwägung. Es macht Spaß, den beiden dabei zuzusehen, wie sie Tapeten von den Wänden kratzen, wie sie streichen oder im Baumarkt streiten. In diesen Sequenzen ist „Mitte Ende August“ offen und frei, manchmal hemmungslos albern und windschief. Schipper scheint keine Absicht, keinen Plan zu verfolgen; die behände Kamera und Montage helfen ihm dabei genauso wie die Verliebtheit der Figuren, die zwar nicht mehr ganz neu, aber frisch geblieben ist. Was sich zum Beispiel beim morgendlichen Zähneputzen beobachten lässt, wenn Hanna etwas halb Zärtliches, halb Anzügliches in Thomas’ Ohr sagt.

Nur: So offen und frei lässt es Schipper nicht weitergehen. Wo eben noch ein Loch klaffte, will das Haus eine Tür. Eine der beiden Tannen vor der Längsseite muss fallen, damit mehr Licht nach innen dringt, und ein Boiler für das warme Wasser will auch installiert sein. Je bewohnbarer das Haus wird, umso weniger Leichtigkeit gönnt sich der Film. Er verlangt nach Struktur, nach Dramaturgie und tragenden Wänden, und deshalb stellt er dem lapidaren Glück seiner Protagonisten ein Bein, indem er ihnen die Gelegenheit zum Ehebruch gibt. Thomas’ Bruder kommt zu Besuch, wenig später Hannas Patenkind, die etwa 20 Jahre alte Augustine. Es dauert nicht lange, und schon sortieren sich die Begehrlichkeiten neu. Schipper arbeitet mit Motiven aus Goethes „Wahlverwandtschaften“; Goethe sah die Anziehung und Abstoßung zwischen Menschen als chemische Reaktion, als Spiel der Elemente, gegen das Wille und Vernunft wenig auszurichten vermögen. In „Mitte Ende August“ streiten die irren, albernen Szenen, in denen die Figuren Wein aus dem Tetrapack auf ex trinken oder „Deine blauen Augen machen mich so sentimental“ singen, mit den Szenen, in denen der Ehebruchsplot die Dramaturgie erobert. Schipper stellt zudem ein bisschen überdeutlich zur Schau, wie modern und geschickt er Goethes Klassiker auf die Gegenwart zu übertragen imstande ist. Sein Haus ist damit fertig renoviert. Beim Zuschauen denkt man sehnsüchtig an den Vorschlaghammer zurück.

CRISTINA NORD

„Mitte Ende August“. R: Sebastian Schipper. Deutschland 2009, 92 Min.; 8. 2., 19 Uhr, Delphi; 9. 2., 12.15 Uhr, Cinestar; 10. 2., 20 Uhr, Colosseum; 13. 2., 22.15 Uhr, Cubix