Naomi Kleins "Schock-Strategie" als Film: Das Superhirn ist schuld

Die Bilder sind Sklaven des Kommentars: Michael Winterbottom macht aus Naomi Kleins "Die Schock-Strategie" einen Agit-Prop Bilderbogen.

Zum personifizierten Bösen stilisiert: Der neoliberale Theoretiker Milton Friedman. Bild: dpa

Wir sehen in schwarzweißen Bildern, wie Panzergeschosse 1973 in Santiago de Chile in Allendes Präsidentenpalast einschlagen. Wir sehen Archivbilder von Patienten, die in den 50er Jahren in die Fänge des kanadischen Psychiaters Donald Ewen Cameron gerieten, der sie mit Elektroschocks terrorisierte. Und wir hören den neoliberalen Theoriker Milton Friedman erklären, warum weniger Steuern, weniger Sozialausgaben und mehr Deregulierung gut sind.

Diese drei Szenen sind, so die Globalisierungskritikerin Naomi Klein, Symptome des Katastrophenkapitalismus. Cameron wollte die Patienten zu einem "weißen Blatt" machen, das er neu beschreiben konnte. Damit habe er das Passepartout des neoliberalen Durchmarsches geliefert. Friedmans marktradikale Therapie ließ sich nur durchsetzen, wo Gesellschaften tiefe Krisen oder Schocks hinter sich hatten und wie "weiße Blätter" waren. Der erste Staat, in dem Friedman seine neoliberale Wunderheilung ausprobieren durfte, war Pinochets Militärdikatur in Chile in den 70er Jahren. Das kann kein Zufall sein.

So sieht es Naomi Klein, so sieht es auch Michael Winterbottom, der deren 800 Seiten dickes Buch "Die Schock-Strategie" sehr brav in eine Art Infotainment-Agitprop übersetzt hat. Ein allwissender Kommentar führt uns im Off durch rasant geschnittenes Archivmaterial, das die Guido Knopp-Fabrik auch nicht anders montiert hätte. Von den Todeschwadrone in Argentinien in den 70er Jahren geht es im Sauseschritt ins thateristische Großbritannien, wo Barrkiaden brennen, und weiter ins Russland der 90er Jahre, in dem Armut und Gewalt regieren. Winterbottom präsentiert einen Bilderteppich aus Explosionen und Elendsszenen, Straßenschlachten und zerfetzten Leibern. Die Montage zielt nicht auf Erkenntnis, sondern auf einen, von Geigen und Beats untermalten, emotionalen Mehrwert. Irgendwann ist es fast egal, ob dieses Bild aus dem Irak oder Chile stammt. Hauptsache, es kracht, knallt und rührt uns.

Dabei fehlt den Bilder das eigene Gewicht. Wenn im Off erläutert wird, dass der aggressive Neoliberalismus des IWF die Armut in Drittweltländern rasant ansteigen ließ, sieht man eine Frau in einem Elendsviertel mit einem Baby auf dem Arm. Die Bilder sind Skalven des Kommentars. Geradezu peinlich wirkt, wie die Montage mit Janine Huard verfährt. Sie war in den 50er Jahren ein Opfer von Camerons Schockbehandlung. Doch auch sie ist nur Stichwortgeberin, die knapp ihr Schicksal schildern darf. Präsenz gewährt die Kamera nur Naomi Klein, dem Popstar der Globaliserungskritiker. Nach einer Vorlesung genießt sie, schüchtern lächelnd, hinter dem Rednerpult aufbrandenden Applaus. So endet der Film - mit einem Werbebild.

Kleins Buch ist zwar, abgesehen von Agitprop-Passagen, solide recherchiert, Winterbottoms Kommentar in vielem zutreffend. So zeigt "Die Schock-Strategie" den Irakkrieg als Desaster des entfesselten Neoliberalismus. Die Armee ist ein privatisiertes Söldnerheer, die Folter hat Methode, der Wiederaufbau war ein Vorwand, damit US-Konzerne die Staatskasse plündern konnten. Recht steil ist indes die These, dass Camerons Psychofolter das Rezept des Neoliberalismus entwickelt hat. Und Friedman als schurkisches Superhirn hinter dem neoliberalen Siegeszug zu inszenieren, hat comichafte Züge.

Einmal sieht man George W. Bush verkünden, dass beim Krieg gegen den Terror "Gut gegen Böse" kämpft. Klein und Winterbottom malen, mit umgekehrten Vorzeichen, ein ähnlich simples Bild.

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