My Suicide: Du hast doch alles

Manche Mitschüler halten ihn für einen Faker: Archie, der sogar in die Psychiatrie seine Kamera mitnimmt. Das überzeugende Teenagerdrama "My Suicide" von David Lee Miller läuft in der Reihe Generation 14plus.

Szene aus David Lee Millers "My Suicide", USA, 2009. Bild: berlinale

Nach einigen engagierten Dokumentarfilmen im Forumsprogramm, wie "Citizen Juling" von Kraisak Choonhavan, Manit Sriwanichpoom und Ing K. oder "Dr. Mas Country Clinic" von Feng Cong, denkt man, wie lächerlich sind doch im Grunde genommen die Wohlstandsneurosen, mit denen man hierzulande zu tun hat. Das stimmt natürlich, aber ist auch wieder so falsch wie der klassische Spruch der Eltern: "Du hast doch alles, andere würden wer weiß was dafür geben, um es so gut zu haben, wie du."

Archie, der Teenagerheld in David Lee Millers Jugendfilm "My Suicide" hat also alles; er lebt in einem kleinen Anbau neben dem Haus seiner Eltern. Technisch ist er auf der Höhe des Medienoverkills mit hochgerüsteten Rechnern, mit denen er kleine Filmchen dreht. Er genießt die Welt des Internets mit all ihren kommunikativen und sexuellen Versprechen und Entfremdungen. Er ist ein eher nur leicht nerdischer Außenseiter; intelligent, nicht unbeliebt, aber doch ohne enge Freunde.

Archie besucht also eine Videoklasse. Als Semesterabschlussarbeit sollen die Schüler einen kleinen Film ihrer Wahl machen. Die Vorhaben der anderen sind eher so kicher, kicher, sein Projekt heißt "My Suicide" und soll mit seinem Selbstmord enden. Der Lehrer ist entsetzt und schleppt ihn zur Schulpsychologin; kurzzeitig kommt Archie in die Psychiatrie.

Immer ist seine Kamera dabei; Archie nimmt alles und sich selbst auch immer wieder auf; die Gespräche mit Ärzten, die ihn nicht verstehen oder vor allem dadurch nerven, dass sie so arrogant vorgeben, ihn zu verstehen, Begegnungen mit Mitschülern. Alles soll Teil seines Films werden, der virtuos geschnitten, teils animiert, eine Weile so MTV-mäßig daherkommt.

Manisch filmt Archie die Aufregung um sich herum, die sein Projekt auslöst. Er ist so teenagermäßig verzweifelt, sein Projekt ist eine Provokation und damit auch eine Frage, mit der er die sucht, die ihm Antwort geben könnten. Die Rolle, in die er sich begibt, ist irgendwie auch wie ein Raumanzug, in dessen Schutz er hinausgehen kann.

Manche Mitschüler halten ihn für einen Faker; bei anderen, wie der schönen Sierra, die er eigentlich verachtet, weil sie so plastikmäßig scheint, weckt er Interesse. Beide befreunden sich miteinander. Sie zeigt ihm ihr Geheimnis: zwei Rasierklingen, mit denen sie sich oft schneidet, wenn sie nicht mehr weiter weiß.

Am Morgen nach einer wilden Party mit viel Alkohol, Drogen und Sex, geht es zum Sportunterricht. Ein anderer Junge hat sich erhängt und baumelt am Basketballkorb. Das ist allerdings noch nicht das Ende der Geschichte.

"My Suicide" ist beeindruckend und überzeugend. Das liegt daran, dass sich David Lee Miller vier Jahre Zeit für diesen Film genommen und seinen Film sehr gut besetzt hat. Vor allem liegt es auch daran, dass zwei kaum Zwanzigjährige den Schnitt besorgten und am Drehbuch beteiligt waren: Jordan J. Miller und Gabriel Sunday, der auch die Hauptrolle spielt.

Jedes Jahr nehmen sich in den USA fast 5.000 Jugendliche das Leben. Dreimal so viele werden erschossen.

"My Suicide". Regie: David Lee Miller. Mit Gabriel Sunday, Brooke Nevin, David Carradin. USA 2009, 105 min.; 15. 2., 14.30 Uhr, Babylon

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