„Verharmlosung deutscher Verbrechen“

Ausstellungsmacher von Hagens und der Chef der Jüdischen Gemeinde Nachama streiten sich über „Körperwelten“

Die Leichen-Show „Körperwelten“ im Postbahnhof am Ostbahnhof sorgt weiter für Wirbel in der Stadt: Öffentlichkeitswirksam hat Ausstellungsmacher Gunther von Hagens in einem offenen Brief scharfe Kritik des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Andreas Nachama, an der Schau ebenso scharf zurückgewiesen und den Gemeindechef zugleich heftig attackiert.

Die Fehde begann mit einem Interview Nachamas in der Welt am Sonntag. Darin hatte der Gemeindechef, der zugleich Rabbiner ist, die Schau unter anderem so angegriffen: „Ich finde es grundsätzlich höchst bedenklich, dass Menschen, die gestorben sind, zu einem Objekt der künstlerischen Verfremdung und des Bestaunens gemacht werden. In einer Gesellschaft, die diese Ausstellung zum Ziel eines Sonntagsausflugs nimmt, ist etwas nicht in Ordnung. Mit den „Körperwelten“ wird die letzte Hürde überschritten, die Hürde des Respekts vor dem Anderen.“

Nachama wird weiter mit der Aussage zitiert, er sei fassungslos, dass so eine Ausstellung stattfinden könne: „Aber möglicherweise ist sie logische Konsequenz dessen, was im 20. Jahrhundert schon passiert ist. Da wurde kein Halt gemacht vor lebenden Menschen, da wurden menschliche Körper millionenfach von Mördern zu Asche verbrannt oder zu Seife verarbeitet, aus menschlicher Haut Lampenschirme hergestellt.“ Und angesprochen auf die nach Veranstalterangaben bisher 2,5 Millionen Besucher der Schau in Deutschland fügte Nachama hinzu: „Diese Zahl spricht für sich und für die Tatsache, dass es in diesem Land offenbar keine Tabus mehr gibt. Man muss sich nicht wundern, wenn in einer Spaß-Gesellschaft nun eben der Spaß am toten Körper aufkommt.“

Schon zuvor hatten die beiden großen christlichen Kirchen die Ausstellung hart angegriffen, die katholische Kirche hatte der Toten der Schau gar mit einem Requiem gedacht. Die Kritik Nachamas aber scheint von Hagens besonders empört zu haben – in einem offenen Brief, den er zusammen mit Nachamas Interview auf der Internet-Seite der „Körperwelten“ veröffentlichte, schreibt er unter anderem an den Gemeindechef: „Mit Ihrer jetzigen, wohl auf Unkenntnis beruhenden Meinung gefährden Sie den Ruf der Jüdischen Gemeinde als ernst zu nehmende moralische Institution.“ Dies begründet von Hagens unter anderem damit, dass „eine konstruierte Parallelität zwischen der Ausstellung Körperwelten und dem Massenmord an Juden“ eine „nicht annehmbare Verharmlosung der deutschen Verbrechen im Nationalsozialismus“ sei. Als „geschichtsbewusster Deutscher, der Dachau und Buchenwald mehrfach besuchte“, so von Hagens weiter, „empfinde ich dies gar als eine Verhöhnung des Leidens und des Sterbens nationalsozialistischer Opfer“.

In einer Reaktion auf den offenen Brief zeigte sich Nachama irritiert und betrübt über die Äußerungen von Hagens’: Dieser verstehe ihn nicht, ebenso wie er von Hagens nicht verstehe – man spreche offenbar nicht die gleiche Sprache. Anscheinend begreife von Hagens nicht, dass er unter dem Deckmantel der Aufklärung lediglich Entertainment betreibe. PHILIPP GESSLER