Das ABC der Biowaffen

Die Ausstellung „Schwarzer Tod und Amikäfer“ zeigt die Geschichte der biologischen Kampfstoffe. Schon im 14. Jahrhundert sollen Tartaren Pestleichen für die Eroberung einer Stadt genutzt haben

von MARIJA LATKOVIC

Der Tod lauerte im Bett. Um genau zu sein: in der Bettwäsche. Keiner der Indianer sah ihn, denn Pockenviren sind mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen. Wieviele Menschen schließlich an der Infektion starben, ist nicht bekannt. Fest steht aber, dass der Tod zahlreicher Indianer im amerikanischen Pennsylvania im Jahr 1763 kein Zufall war. Britische Offiziere hatten den Ureinwohnern Wäschestücke aus dem Pockenhospital geschenkt, um Aufstände gegen die britischen Invasoren zu verhindern.

Dokumentiert wird dieser Fall biologischer Kriegsführung bei der Ausstellung „Schwarzer Tod und Amikäfer“, die im Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin-Buch zu sehen ist. Die Wanderausstellung befasst sich vor allem mit der Geschichte der so genannten B-Waffen. Denn schon vor den Anthrax-Briefen, die im vergangenen Jahr in den USA auftauchten, spielten Bakterien und Viren bei der Austragung von Konflikten eine wichtige Rolle.

„Bioterrorismus hat eine lange Tradition“, sagt Erhard Deißler, der die Ausstellung konzipiert hat. So sollen Tartaren bereits 1346 Pestleichen über die Befestigungsanlagen des genuesischen Außenpostens Kaffa auf der Krim katapultiert haben. Die Belagerten mussten aus Angst vor dem „Schwarzen Tod“ die Stadt wenig später aufgeben.

„Anders als Atombomben oder chemische Waffen, die in aufwendigen Versuchen im Labor hergestellt werden, reicht es bei B-Waffen, den Erreger in Umlauf zu bringen“, erklärt Oliver Thränert von der Stiftung Wissenschaft und Politik, der bei der Ausstellungseröffnung als Gastredner auftrat. Lange Zeit wurden B-Waffen deshalb als „Atombombe des kleinen Mannes“ bezeichnet. Ob biologische Kampfstoffe aber tatsächlich genauso effektiv sind wie A- oder C-Waffen, darf bezweifelt werden. Hoch ansteckende Krankheiten wie etwa die Pocken könnten in der Bevölkerung zwar eine Epidemie auslösen. Seit 1980 gilt der Pockenerreger offiziell aber als ausgerottet.

Bei der Ausstellungseröffnung wurde dennoch die Gefahr eines Angriffs mit B-Waffen diskutiert. Jochen Sohns von der Sanitätsakademie der Bundeswehr in München wies das Fachpublikum in seinem Vortrag auf das Risiko hin, das etwa von Staaten wie dem Irak ausgeht. Dass dort seit langem an biologischen Kampfstoffen geforscht wird, ist bekannt, auch wenn Saddam Hussein dies immer wieder bestritten hat. „Ab dem Jahr 2005 wird auch Deutschland im Bereich der irakischen Raketensysteme liegen“, warnte Sohns und nutzte die Gelegenheit, um Kritik zu üben. Denn für einen Angriff mit B-Waffen sei Deutschland nicht gerüstet. Deshalb forderte der Bundeswehrexperte die Einrichtung eines medizinisch-wissenschaftlichen Kompetenzzentrums. Dieses sollte sich um Ausbildung, aber auch Weiterentwicklung der Diagnostik und Prophylaxe kümmern. „Denn die Frage ist nicht, ob ein Anschlag kommt, sondern wann und wo“, meinte Sohns.

Das B-Waffen-Abkommen von 1975, in dem sich die Mitgliedsstaaten verpflichtet haben, auf biologische Kampfstoffe zu verzichten, bietet in diesem Fall keinen Schutz. Weiterhin wird an Biowaffen geforscht. Auch Menschen mit terroristischen Absichten haben Zugriff auf das nötige medizinische Wissen und die entsprechende technische Ausstattung. Das haben die Milzbrandfälle in den USA bewiesen.

Zum Zeitpunkt der Anschläge befand sich die Ausstellung „Schwarzer Tod und Amikäfer“ in der Berliner Urania. In den Tagen nach dem 11. September hat Erhard Geißler deutlich mehr Besucher gezählt. „Die meisten wollten wissen, wie groß die Gefahr eines Angriffs mit Biowaffen tatsächlich ist“, erinnert sich der Genetiker und Abrüstungsexperte. Gerade in der psychischen Wirkung – der Angst vor Krankheit und Tod – liege die Bedeutung der Biokampfstoffe.

Das war auch so beim „Amikäfer“. Nach dem zweiten Weltkrieg erreichte eine Kartoffelkäferplage Sachsen und Thüringen. Ab 1950 wurden in der DDR die Amerikaner beschuldigt, große Massen der Käfer als biologische Fresswaffen über Ostdeutschland abgeworfen zu haben. Zwar waren die Behauptungen völlig aus der Luft gegriffen, fielen aber bei der hungernden DDR-Bevölkerung auf fruchtbaren Boden.

„Schwarzer Tod und Amikäfer“, bis 28. Februar im Max-Dellbrück-Centrum, Robert-Rössle-Str. 10, Berlin-Buch, Montag bis Freitag 10 bis 17 Uhr