Ein Auf und Ab wie auf einer Tonleiter

Vor 150 Jahren gründete Carl Bechstein in Berlin eine Piano-Fabrik. Bechstein wurde zu einer Weltmarke, verkaufte insgesamt 200.000 Instrumente. Heute lädt die Firma, die nur noch mit ihrer Zentrale und einer Werkstatt an der Spree ist, zu einem Festakt. Ein Streifzug durch Geschichte und Gegenwart

„Man sollte Musik nur für den Bechstein schreiben“

von RICHARD ROTHER

Franz Liszt, Sergei Rachmaninow, Leonard Bernstein schätzten Berliner Klavierbaukunst, und Claude Debussy ließ sich gar zu dem Satz hinreißen: „Man sollte Klaviermusik nur für den Bechstein schreiben.“ Heute nun feiert das Haus Bechstein sein 150-jähriges Jubiläum. Es ist eine Berliner Firmengeschichte, die ihresgleichen sucht. Eine Geschichte, die geprägt ist von Aufs und Abs, von Licht und langen Schatten, von Tradition und Innovation – wobei zu Letzterem wohl auch die Verlagerung der Produktionsstätten aus Kreuzberg nach Sachsen gehört.

Aber der Reihe nach: 1853 gründete der damals 27-jährige Klavierbaumeister Carl Bechstein seinen eigenen Betrieb in Berlin. Er ahnte damals wohl, dass Berlin zum Drehkreuz internationaler Künstler werden würde. Internationalen Ruf erwarben die Bechstein-Flügel durch das Vertrauen führender Pianisten, allen voran Franz Liszt. Aber auch zu dem Pianisten Hans von Bülow und dem Komponisten Richard Wagner – beide nicht nur Künstler, sondern auch Antisemiten – pflegte Bechstein engen Kontakt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Bechstein bereits ein weltweit florierendes Unternehmen mit vier Fabriken, in denen rund 800 Mitarbeiter beschäftigt waren.

Doch nach dem Tod des Firmengründers im Jahre 1900 ging es bergab: die drei Söhne zerstritten sich in den durch die Wirtschaftskrise schwierigen 20er-Jahren. Gleichzeitig gewann eine unrühmliche Person Einfluss im Hause Bechstein, Helene Bechstein, die Frau eines der drei Söhne des Gründers. Am Anfang des Jahrzehnts begann die überzeugte Antisemitin, Adolf Hitler zu unterstützen. Mit ihrer und anderer Frauen Hilfe konnte Hitler Sicherheiten für ein Darlehen hinterlegen, um aus dem Völkischem Beobachter eine Tageszeitung zu machen.

1934 errang Helene Bechstein die Aktienmehrheit in der Firma, konnte alte Grundstücke an den preußischen Staat verkaufen, dessen Ministerpräsident zu jenem Zeitpunkt Hermann Göring war. Die starke Nähe zur NS-Macht nützte der Bechstein, zumindest wirtschaftlich, wenig – die Klavierbauer setzten immer weniger Instrumente ab. Ein Grund dafür: mit der Ermordung der deutschen Juden verlor Bechstein einen großen Teil seiner potenziellen Käufer.

Nach dem Krieg wollten viele emigrierte Künstler nicht mehr zu ihrer einstigen Stammmarke zurückkehren, die US-Administration beschlagnahmte das Unternehmen. Einer der ersten Aufträge der Amerikaner: aus dem vorhandenen Holz Särge zimmern, offenbar getragen vom Leitbild der Reeducation. 1963 gingen große Anteile des Unternehmens an den US-Klavierhersteller Baldwin Company, zuvor war in Karlsruhe ein Zweigwerk errichtet worden.

Aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten musste Baldwin 1986 Bechstein verkaufen – die große Stunde des gelernten Klavierbaumeisters Karl Schulze. Er übernahm den Betrieb, setzte zunächst mit Erfolg auf Hochpreis-Instrumente, ließ am Kreuzberger Moritzplatz eine moderne Fabrik errichten. Nach dem Fall der Mauer dehnte sich Bechstein nach Sachsen aus, erwarb eine alte Pianofabrik in Seifhennersdorf – die heutige Produktionszentrale. In Berlin verblieben nur die Verkaufsflächen, die Büros des Stammsitzes in Charlottenburg sowie eine Werkstatt in Kreuzberg.

„Berlin ist als Produktionsstandort nicht mehr geeignet“, sagt Karl Schulze heute. Der Bechstein-Chef sitzt gelassen in einem Hinterzimmer des Stilwerkes Berlin, einem Designerkaufhaus, in dem auch Bechstein seine Instrumente feilbietet. Trotz des Stresses mit der Jubiläumsfeier nimmt sich der Manager die Zeit, über Musik und Märkte, Berlin und Bildung zu parlieren. Das bringt Überraschendes: Bechstein ist nämlich nicht nur wegen geringerer Lohnkosten mit seiner Produktion nach Ostsachsen gezogen, sondern auch wegen der Ruhe und der dortigen jahrhundertelangen Handwerkstradition. Ein bis eineinhalb Jahre braucht es, bis ein hochwertiges Piano hergestellt ist. „Dafür braucht man Ruhe und stabile Strukturen“, so Schulze. Die gebe es auf dem Lande eher als in der Großstadt, wo größere Fluktuation herrsche.

Millionen wurden in Seifhennersdorf investiert, die Produktpalette erweitert. Bechstein schreibt schwarze Zahlen, wird in diesem Jahr eine Dividende ausschütten. Ein Blick auf die Zahlen verrät aber noch mehr, lässt er doch den enormen Produktivitätsfortschritt erahnen, der im vergangenen Jahrhundert erzielt wurde: vor hundert Jahren stellten rund 800 Beschäftigte jährlich zirka 4.500 Instrumente her; im vergangenen Jahr hatte Bechstein rund 230 Mitarbeiter und verkaufte knapp 3.800 Instrumente.

Als Absage an Berlin ist die moderne Produktionsanlage in Sachsen aber nicht zu verstehen. „Berlin ist ein phantastische Metropole, die Ost und West verbindet“, betont Schulze. Und eine Stadt im Umbruch, der mindestens noch eine Generation andauere. Ein Umbruch, den auch die Bechstein-Beschäftigten spüren. Wichtigster innerdeutscher Absatzmarkt für die rund 3.800 jährlich hergestellten Instrumente ist der Südwesten, Berlin rangiert weiter hinten. „Berlin ist eine Arbeiterstadt“, begründet Schulze. Und zu Mauerzeiten seien Teile des Westberliner Bildungsbürgertums abgewandert. Schichten, in denen das Musizieren eine größere Rolle spielt – und die sich teure Instrumente leisten können. Ab 3.000 Euro aufwärts muss man schon hinblättern, will man eines der kostbaren Instrumente erwerben. Bei der Finanzierung geht Bechstein mit der Zeit: man kann Instrumente kaufen, in Raten zahlen, leasen, sogar mieten.

Insgesamt rund 200.000 Instrumente hat die Firma in ihrer 150-jährigen Geschichte produziert. Schulze hätte gern, dass es in Zukunft noch mehr werden – nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auch aus gesellschaftspolitischen. „Wer musiziert, erfüllt sein Leben mit Inhalt.“ Musik verbinde eher, als dass sie aggressiv mache. Auch deshalb bedauert der Piano-Chef den Wertewandel, nach dem der Stellenwert des Musizierens zurückgeht.

Ein Hoffnungsschimmer aber bleibt. Das Klavier hat den höchsten Stellenwert als klassisches Musikinstrument, die elektronischen Instrumente können kein Klavier ersetzen. „Man spürt die Schwingungen, wenn man eine Taste anschlägt“, schwärmt Schulz. Und: „Jeder vernünftige Band-Keyboarder hat klassischen Klavier-Unterricht genommen.“