Vom kurzen Moment der Freude

Immer war Sarah Schumann eine „gestandene Malerin“, hat sich Kunst, Unabhängigkeit und Lebensunterhalt erkämpft. Bevor sie 1968 in ihre Geburtsstadt zurückkam, lebte sie in London und Italien. Trends interessierten sie nicht. Heute wird sie siebzig

von WALTRAUD SCHWAB

Sarah Schumann wird siebzig, aber es will nicht passen. „Wie kurz ein Leben ist“, sagt sie. „Und was ich alles gemacht habe. Nicht nur gemalt. Und wie viele Bücher ich in meinem Leben gelesen habe. Gute Bücher. Und ich weiß es nicht einmal mehr.“

Die Künstlerin sitzt in ihrem Atelier in Charlottenburg und blickt auf die blühenden Hortensien vor ihrem Fenster. Die karminroten Blütendolden neigen sich dem Haus zu. Die Intensität der Farbe, das Mattglänzende der Oberfläche sucht Schumann in ihren Bildern mit Pigmenten und Holzleim nachzubilden. Eine Frage der Mischung, der Dichte. Aber die Kunst bleibt hinter der Natur zurück: „Was ein Blumenblatt hat, das kannst du nicht herstellen. Was so ein Blatt aushält an Regen und Wind!“ Schumann hegt die Pflanzen vor ihrem Fenster. Die zufällige Harmonie zwischen innen und außen ist gewünscht. Rot ist die Lieblingsfarbe der Malerin. Sie hat eine Bluse in Pink an, eine hummerfarbene Jacke, einen violetten Rock. Ihre Haare sind rot gefärbt. Dazu trägt sie ein Kreuz besetzt mit rosafarbenen Steinen um den Hals, eine zinnoberrote Uhr und purpurfarbenen Lippenstift. Sie dreht sich eine Zigarette. Selbst ihr Tabak ist in einer roten Verpackung. „Ich baue die Bilder wie Architektur“, sagt sie. Und die Wahl der Farben der Kleidung, ist das Zufall? „Wenn du Kunst machst, machst du etwas über das Handwerk hinaus“, antwortet sie.

An der Wand hängt ein unfertiges Porträt. Darauf Fleur Jaeggy. Fleur – Blume. Die italienische Schriftstellerin schreibt Sätze wie: „Schmerz, dachte er, hebt die Unterschiede zwischen den Jahreszeiten auf.“ Oder: „Haben Sie vielleicht den kühnen Wunsch gehabt, nach dem zu suchen, der nicht mehr existiert?“ Auf dem Bild wirkt Jaeggy bereits durch die Kontur festgehalten, sogar zementiert. Ihre manierierte Handbewegung verstärkt den Eindruck körperlicher Starre. Eine Frau ist zu sehen, die an sich halten muss. Dieser Eindruck wird durch die Farben, die die Malerin wählt, verstärkt. Fleur Jaeggys Kleid ist ein flächiges Violett, der noch unvollständige Hintergrund streng in Schwarzgrün und Blau gehalten. Kühle Farben sind es, denen durch die pelzig wirkende Dichte der Pigmente ein Maximum an Wärme abgerungen wird.

Seit fünfzig Jahren spielen Frauen in den Arbeiten Schumanns eine zentrale Rolle. Aufgefallen ist sie Anfang der Sechzigerjahre mit „Schock-Collagen“, bei denen weibliche Figuren in einer von Kriegschiffren gekennzeichneten Umgebung platziert sind: Mal ist ein Frauengesicht der Boden eines Explosionstrichters, mal wird die Physiognomie von Frauen durch Schlachtfelder nachgezeichnet. Auch Marilyn Monroe taucht in den Collagen als Ikone bereits auf. Ihr Kleid verschmilzt mit den Flammen eines Kriegsinfernos. Fotos aus Paris-Match hat Schumann für diese Collagen genommen, erzählt sie.

Einen Zusammenhang zwischen den frühen künstlerischen Arbeiten und eigenen Erfahrungen aus dem Krieg will die Malerin nicht sehen. Den hat die in Berlin Geborene vor allem aus der Perspektive eines Flüchtlingskindes in Erinnerung. „Natürlich der Schrecken“, sagt sie. Geblieben sei eine Faszination. Früher jene für die Gewalt, heute jene für die Logistik des Krieges. „Eine schreckliche Leistung.“

Die Collage hat Schumann nie aufgegeben, wenngleich sich die Idee des Zusammengefügten über die Jahre veränderte. Viel übermalte Fotografie findet sich in ihrem Werk. Seit dem Fall der Mauer experimentiert die Künstlerin zudem mit einem Mix aus Schrift, Gezeichnetem und Gemaltem. Meist sind es landschaftliche Impressionen aus der DDR und Russland.Wie sich aufgelösende Grafiken wirken die Bilder. Als müsse der ehemalige Osten erst aus der symbolischen Fixierung auf den „Eiserner Vorhang“ gelöst werden.

Die figurative Malerei hat Schumann ebenfalls nie verworfen. Menschen, Landschaften, Tiere – selbst eingefangen in abstrakte Kompositionen sind sie doch zu erkennen. „Ich konnte mich letztlich nur figurativ ausdrücken“, sagt sie. Damit hat sie jahrelang gegen den Trend gemalt. Es sei nicht kalkuliert gewesen, meint sie. „Ich gehe nicht nach Mitte und schaue, was gezeigt wird. Weil es mich langweilt und ich keine Zeit mehr habe.“

Einsamkeit ist der Preis für solchen Eigensinn. „Ich kann sie ertragen, obwohl es schwer ist“, sagt Schumann. Die Malerei sei aus dem Mainstream verschwunden, weil die Künstler die Einsamkeit nicht aushielten. „Du bist mit dem Werk allein.“ Schuman hat trotzdem bewusst so einen Weg eingeschlagen.

Anfang der Sechziger geht sie nach London. Ein radikaler Schnitt. „Tabula rasa“, sagt sie. Sie verabschiedet sich von Mann, Land und Sprache. Aber London ist teuer. Deshalb zieht sie weiter nach Italien, kauft sich eine verfallene Villa in Piemont. „Okay, dann lebe ich autark, pflanze Tomaten“, erinnert sich Schumann. „Es war eine Täuschung. Das Haus war eine halbe Ruine. Ich wollte es wieder in Schuss bringen. Das hat mich ruiniert. Dazu das Klima. Diese Vehemenz: Regen, Regen. Hitze, Hitze.“

Nur in kurzen Sätzen teilt sich Schumann mit. Wo andere ihre Lebensfülle barock auftischen, wenn sie erzählen, fühlt sie sich bereits nackt. Deshalb sucht sie beim Sprechen den Blick ins Weite. Halbprofil. Da sind die Fluchtlinien am stärksten. Da bricht sich das Versprechen auf Inhalt an der äußeren Form.

In Italien jedenfalls gerät Schumann in einen Zustand großer Isolation und kann drei Jahre überhaupt nicht mehr malen. Für eine, die sich damit immer ihren Lebensunterhalt verdient hat, eine existenzielle Bedrohung. „Ich hatte mir mein Leben schön und reich und sesshaft und üppig gedacht. Nicht: Was ausprobieren und scheitern.“ Auf dem Tisch in ihrem Atelier stehen alte Pesto-, Kapern- und Olivengläser, die nun mit Pigmenten gefüllt sind. In den Namen der Farben versteckt sich die Sehnsucht des Südens: Ultramarin. Umbra. Siena.

Schumann geht 1968 zurück nach Berlin. Genau zur richtigen Zeit, um endlich Resonanz zu bekommen, auf ein bis dahin unausgesprochenes Begehren in ihr: Jenes, als Frau in der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Sie trifft auf die Pionierinnen der neu im Entstehen begriffenen Frauenbewegung, darunter die Filmemacherin Helke Sander. Und sie schließt sich der Gruppe „Brot und Rosen“ an. Die, die da dabei sind, gelten als die Pragmatikerinnen und Ästhetinnen unter den Frauenbewegten. Als Detektivinnen spüren sie die falschen Verankerungen von Frauen in der Gesellschaft auf. Ihre eigenen mit inbegriffen.

Auch zu den Initiatorinnen der Ausstellung „Künstlerinnen international“, die 1977 im Schloss Charlottenburg gezeigt wird, gehört Schumann. Zum ersten Mal wird in Berlin umfassend das Schaffen von Frauen der letzten 100 Jahre, das bis dahin von der Kritik und den Mäzenen kaum wahrgenommen wurde, vorgestellt.

Heute kann der Katalog dieser Ausstellung wieder als Nachschlagewerk gelesen werden für all die Künstlerinnen, die nach dem Höhenflug der Frauenbewegung erneut ins Vergessen geraten sind. „Nichts ist daraus entstanden“, sagt Schumann. „Keine Museen, keine Galerien für Frauenkunst wie in den USA. In Deutschland hast du Glück, wenn du genug Bilder verkaufst, um davon leben zu können“, sagt die Künstlerin. „Es ist eine wahnsinnige Leistung, als gestandene Malerin zu bestehen. Sich alles zu erkämpfen. Die Kunst, die Unabhängigkeit“, sagt Schumann.

In den letzten Jahren hat Schumann vor allem Porträts gemalt. Eigenwillige. Meist sind nur das Gesicht und die Hände der Abgebildeten ausgeführt. Der Körper löst sich in einer farbig-grafischen Umgebung auf. Das Spartanische dieser Gestaltung lässt sich jedoch noch als Symbol für die Personen lesen. Roman Herzog, Muhammad Ali, Marilyn Monroe sind unter denen, die sie auf diese Weise großformatig ins Bild gesetzt hat.

Den jüngsten künstlerischen Schritt hin zur Auflösung von Bedeutung, auch der symbolischen, hat Schumann nach einer Reise in die Sowjetunion ausprobiert. Dort hat sie sich von der Ikone inspirieren lassen. „Es ist reine Malerei ohne Psychologie, ohne Deutung der Seele. Nur die Kontur. Das hat mich beeinflusst“, erklärt sie. Deshalb hat sie in den letzten zwei Jahren einen Zyklus großer Madonnenbilder gemalt. Verführt von dem Gedanken, der die Künstler früher getrieben hat. „Wenn du nicht für das reiche Bürgertum, Könige oder die Kirche als Auftraggeber malst, sondern um Gott zu gefallen, dann musst du mehr leisten. Trotzdem bleibt der Künstler vor Gott, der in dieser Denkweise als der originärste Schöpfer überhaupt gilt, immer die zweite Garnitur.“ Sind ihre Bilder demnach so etwas wie der Neorenaissance verpflichtet? „Wozu brauchen Sie ein Label?“, fragt Schumann.

Mit ihrer Freundin, der Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen, lebt Schumann in dem beschaulichen Winkel Berlins am südlichen Lietzensee. Viele Häuser sind von wildem Wein umrankt. Die Wohnung der beiden Frauen wirkt wie die Enklave einer wenig beachteten weiblichen Bohème. Deren einzige Sehnsucht: „Nur noch das Wichtige im Leben tun.“ Was ist das Wichtige? „Lesen, Schreiben, mit Sarah leben“, sagt Bovenschen. Und Sarah Schuman sagt: „Ich will etwas erarbeiten, was mir gefällt. Da bin ich egoistisch. Wenn ich etwas fertig gemacht habe und weiß, dass es gelungen ist, dann habe ich den kurzen Moment von Freude. Man könnte es auch Glück nennen. Das ist ja sehr viel.“