In der Schlange von Berlin nach Warschau
: Fünf Jahre Warschau-Express – fünf Stunden warten auf ein Ticket

Nach dreieinhalb Stunden rollt die Service-Offensive an. Eine Bahn-Mitarbeiterin verteilt Wasser an die Wartenden

Donnerstagmorgen, 8.30 Uhr, Reisezentrum Bahnhof Zoo: Hinter der Schalterreihe sitzen sechs Mitarbeiterinnen der Deutschen Bahn und warten. Vor der Schalterreihe stehen etwa 60 Menschen und warten ebenfalls. Sonst passiert nicht viel. Eigentlich passiert gar nichts. Und das seit zweieinhalb Stunden. So sieht das aus, wenn die Bahn ein Jubiläum feiert.

Der Jubilar heißt Berlin-Warschau-Express. Der gondelt seit genau fünf Jahren zwischen der deutschen und der polnischen Hauptstadt hin und her. 1,7 Millionen Menschen waren mittlerweile an Bord. Zum fünften Wiegenfeste hat sich die Bahn etwas ganz Besonderes ausgedacht. Wer am 12. oder 13. Oktober bucht, kann an einem der folgenden fünf Wochenenden die einfache Expressfahrt für fünf Euro buchen – solange der Vorrat reicht. In der Presse, im Radio und im TV wurde das Schnäppchen groß angekündigt. Wider Erwarten sind heute tatsächlich auch ein paar Leute gekommen.

8.40 Uhr: Eine Bahn-Mitarbeiterin erklärt das Problem: „Das System geht nicht. Wir können keine Rückfahrten buchen.“ Hinfahrten könne man buchen, wenigstens ab und zu, wenn es dem System genehm sei. Die meisten Menschen möchten schon gerne wieder zurückfahren.

9.06 Uhr: Der Herr ganz vorne in der Schlange wird langsam ungeduldig. Seit sechs Uhr steht er hier, zu so früher Stunde macht das Reisezentrum auf. Das liegt nun schon einige Zeit zurück, aber sein Gedächtnis lässt ihn nicht im Stich: „Um sechs war ich hier, nur ein paar Leute vor mir. Um fünf nach sechs waren alle Tickets für den Frühzug weg.“ Der Express fährt dreimal täglich, der erste um 6.53 Uhr. „Drei Leute vor mir haben noch ein Ticket dafür gekriegt. Ich nicht mehr.“ Die Schalterdamen bestätigen das. „Die Frühzüge sind alle schon ausgebucht.“ Für dieses Wochenende? „Nein, für alle.“

9.10 Uhr: Ein Mann will wissen: „Wird hier schon wieder gestreikt?“ Keiner lacht.

9.30 Uhr: Tickets gibt’s immer noch nicht. Man nippt nur verhalten am Becher. Nicht dass am Ende die Blase drückt und man aus der Schlange muss.

9.44 Uhr: Es geht! Jubel bricht aus. Die Bahn-Damen drucken auf gut Glück alles aus, was sie buchen können. Es geht zu wie auf dem Fischmarkt. Tickets werden auf Zuruf unter die Leute gebracht. Es gibt zwar immer noch keine Rückfahrkarten, aber wer es schafft, schlägt trotzdem zu.

9.46 Uhr: Das System streikt. Gerüchte machen die Runde, in Polen habe man schon vor Wochen per Flyer für das Angebot geworben. „Die buchen uns jetzt alles weg.“

10.07 Uhr: Diejenigen, die wenigstens eine Hinfahrt ergattert haben, können sich nun in eine Liste eintragen. Man verspricht ihnen, sie zurückzurufen, sobald das System wieder geht und sofern dann noch Plätze frei sind. Dass man das Ticket „ausnahmsweise“ auch zurückgeben kann, wird verhalten goutiert.

10.39 Uhr: Eine polnische Babcia stellt sich an, betrachtet die Wartenden: „Das ist ja wie früher“, dreht sich um und geht.

10.45 Uhr: Die meisten der Wartenden haben sich in eine der Listen eingetragen und räumen allmählich das Feld. Dass sie zu ihrem Warschau-Ticket noch eine passende Rückfahrt erhalten, glaubt niemand so recht.

12.20 Uhr: Telefongespräch mit Herrn Ahlert, Pressesprecher der Deutschen Bahn. Ja, es habe ein paar Probleme gegeben, aber die Nachfrage sei ja auch riesig gewesen. Ein regelrechter „Run“! Nicht nur am Zoo, auch an Hauptbahnhof, Ostbahnhof, Alex, in Lichtenberg „war der Wurm drin“. Aber jetzt, berichtet Herr Ahlert, seit 11.30 Uhr, sei die Buchung endlich möglich. „Wenigstens sporadisch.“ Wie es sein kann, dass nach fünf Minuten schon alle Frühzüge ausgebucht waren, kann Ahlert auch nicht erklären. Bekommt denn jetzt jeder, der seinen Namen hinterlassen hat, ein Ticket? „Das kann ich im Moment nicht noch nicht sagen.“ Aber die Nachfrage sei halt auch so groß.

Der Slogan der Bahn heißt übrigens: „Berlin–Warschau in weniger als sechs Stunden“. Am Donnerstagmorgen hat das ja gerade noch so geklappt.

Torsten Gellner