Häuserkampf - ein ungewolltes Revival: Ein Hauch von Hausbesetzung

Die BewohnerInnen der Reichenberger Straße 114 wehren sich gegen die heutige Zwangsversteigerung des einst besetzten Hauses. Transparente mit linken Parolen sollen potenzielle Käufer abschrecken. Die Kreuzberger Gegend ist bei Investoren begehrt.

Die Parolen auf den Transparenten sind vertraut. "Friede den Hütten - Krieg den Palästen", "Wir bleiben alle - sonst gibt es Krawalle". Am Hauseingang werben zahlreiche bunte Plakate für linke Demonstrationen, Solipartys und Infoveranstaltungen. Die Fassade der Reichenberger Straße 114 wirkt wie die eines besetzten Hauses. Wird im tiefsten Kreuzberg an alte BesetzerInnentraditionen angeknüpft?

Tatsächlich war das Haus 1988 kurz besetzt. Es wurde aber bereits während der rot-grünen Berliner Koalition ein Jahr später legalisiert. Nur noch ein kleiner Teil der heutigen 50 Mieter war damals dabei. Doch die Transparentaktion hat einen sehr aktuellen Grund. "Wir wollen potenzielle Investoren abschrecken", sagt Simone, die hier wohnt. Schließlich soll der Altbau am heutigen Donnerstag vor dem Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg zwangsversteigert werden. "Wir hoffen, dass sich keine Käufer finden", erklärt auch Jan, der wie Simone im zweiten Hinterhaus wohnt.

Dieser Teil des Hauses ist dunkel, nur eine Klingel funktioniert. Durch die Fenster zieht es. Weil es an Geld fehlt, bleibt das Hinterhaus unsaniert. Die 16 BewohnerInnen haben in Eigenregie und auf eigene Kosten das undichte Dach repariert.

Die Firma Format, die das Gebäude im Auftrag der Brauner Eigenheim und Grundstücks KG mehrere Jahre verwaltete, habe für Reparaturwünsche der BewohnerInnen kein offenes Ohr gehabt, so die BewohnerInnen. "Format hat mit allen Mitteln versucht, uns vor die Tür zu setzen, und dabei sämtliche Mieterrechte ignoriert", betont Simone. Sie blättert in dicken Aktenordnern, in denen diese Auseinandersetzungen dokumentiert sind. Nur mit juristischer Hilfe habe man die Kündigungen sowie die von der Hausverwaltung veranlasste zeitweilige Strom- und Wassersperrung verhindern können. Anwalt Moritz Heusinger, der die BewohnerInnen vertritt, klassifizierte die Praktiken von Format "als üble Entmietungsaktionen, wie sie in den 80er-Jahren in Berlin bekannt waren". Die Hausverwaltung wollte sich dazu nicht äußern.

Nach diesen heftigen Auseinandersetzungen waren die MieterInnen froh, dass das Gebäude in der Reichenberger Straße zu jenen Häusern gehörte, die die Brauner Eigenheim und Grundstücks KG aus finanziellen Gründen veräußern musste. Im Dezember 2006 übernahm ein Zwangsverwalter das Haus. Die BewohnerInnen klassifizieren das Verhältnis mit ihm als sachlich und korrekt.

Doch nach einer erfolgreichen Versteigerung könnte es mit der Ruhe wieder vorbei sein, fürchten sie. Einen Vorgeschmack liefern seit einigen Wochen die Besuche der InteressentInnen, die sich das im Internet zum Verkauf angebotene Haus ansehen wollen. "Manchmal mussten wir schon energisch darauf hinweisen, dass sie kein Recht haben, unsere Wohnungen zu betreten. Doch meistens sind sie schnell wieder gegangen. Da erfüllen die Transparente wohl ihren Zweck", sagt Simone.

Dass die Versteigerung aber tatsächlich mangels KaufinteressentInnen scheitern wird, darf bezweifelt werden. Der Mindestpreis von 1,6 Millionen Euro gilt als nicht besonders hoch für eine bei Investoren zunehmend gefragte Gegend. Dazu gehört die Umgebung der Reichenberger Straße 114 seit einigen Jahren. Schräg gegenüber etwa werben die Paul-Lincke-Höfe auf einer Infotafel mit dem Slogan "Mit dem Garten und dem Auto direkt auf der Etage" für ihre "Carlofts". Auch der CDU-nahe Studierendenverband RCDS hat seine Bundesgeschäftsstelle dort eröffnet. Vor zehn Jahren sei Kreuzberg in konservativen Kreisen noch gemieden worden, weil es als linkes Zentrum gefürchtet war. "Mittlerweile ist es schick geworden, in dem Stadtteil zu arbeiten und auch zu wohnen", kommentiert Jan die Veränderungen vor seiner Haustür.

Dabei scheinen manche neu Zugezogene sogar Gefallen am Ambiente der Reichenberger Straße 114 zu finden. "So hat es in Kreuzberg in den 80er-Jahren überall ausgesehen", habe eine Gruppe von Neukreuzbergern kürzlich beim Blick in den Hof spontan geäußert. Da fühle man sich manchmal schon wie in einem Museum, sagt Simone. Aber dann hat sie überlegt, dass eine Art politischer Denkmalschutz auch nicht so schlecht wäre.

Weil es den nicht gibt, haben die MieterInnen mittlerweile zu mehreren Initiativen Kontakt aufgenommen, die sich gegen eine Umstrukturierung in Kreuzberg und den Nachbarbezirken wehren. Sie meinen es offenbar ernst mit den Worten, die als Warnung für alle potenziellen KäuferInnen seit einigen Wochen gut sichtbar direkt am Eingang zu lesen ist: "Vorsicht, Risikokapital!"

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