Stille Orte

Ein Spaziergang durch die Innenstadt auf der Suche nach einer Oase der Ruhe.

Wohin soll man gehen, um Stille zu finden in der Innenstadt? Etwa in den "Raum der Stille" im Brandenburger Tor? Bild: AP

Nehmen wir an, Sie besuchten Berlin zum ersten Mal. Oder für eine Besorgung hätte es Sie in die Innenstadt verschlagen, zwischen Brandenburger Tor und Alex. Nehmen wir weiterhin an, Sie hätten nach ein, zwei Stunden die Nase voll von Lärm und Gedränge und suchten einen stillen Ort. Nein, keine öffentliche Toilette: einen ruhigen Raum zum Abschalten. Wohin gehen Sie?

Jeder Mittelmeerurlauber weiß, wo er fündig wird: in einer Kirche. Immer offen, schön schummrig und still. Ideal zum Runterkommen, auch ohne Glaube. Aber in Berlin? Begeben wir uns auf die Suche. Die Kriterien, die wir hier für einen stillen Ort anlegen, dürfen ruhig etwas strenger sein: 1. Still heißt: still. 2. Setzen muss man sich schon können. 3. Es darf nichts kosten.

Die erste Station steht fest: Schließlich trägt der Raum der Stille seine Bestimmung im Namen, und er könnte zentraler nicht liegen: in einem Seitenflügel des Brandenburger Tors. Schön ist vor allem seine Intention - Besinnung Suchende jeglicher (oder keiner) Konfession zu empfangen. Und still ist er tatsächlich. Dann hört es aber auch schon auf: Der sehr quadratische, sehr praktisch bestuhlte Raum wirkt wie ein Zahnarztwartezimmer, natürlich ohne Zeitschriften. Weil man von den Stühlen aus exakt auf die Tür schaut, rechnen wir immer mit weiteren Besuchern (die ausbleiben), stellen uns den Blickkontakt ein bisschen peinlich vor und suchen bald das Weite.

Weiter geht es, die Linden entlang. Exquisite Stille verspricht die Staatsbibliothek. Der Traum vom Lesesaal, dessen gedämpftes Ambiente allenfalls ein Flüstern durchbricht, zerplatzt angesichts der Zugangsbedingungen: Nur wer bereit ist, für seinen Spontanbesuch einen Monatsausweis à 10 Euro zu erwerben, erhält Einlass. Fehlanzeige.

Ganzjährig geöffnet ist die St. Hedwigs-Kathedrale. Im katholischen Pantheon am Bebelplatz könnte man Stunden verbringen - wäre der Raum nicht so überirdisch hässlich und herrschte nicht ein ständiges Kommen und Gehen. Also weiter.

Überflüssig der Schlenker zur St.-Marienkirche. Die nimmt Eintritt, wenn auch keine unverschämten fünf Euro wie der Berliner Dom. Gratis darf hier laut Kassenfrau nur rein, wer gegenüber dem Türsteher das dringende Bedürfnis nach einem Gebet äußert. Traurig muss man darob nicht sein: Der Dom ist eine Touristenfalle - kein Ort, an dem man zu sich fände.

Die Staatlichen Museen locken mit wenig frequentierten Stille-Oasen (etwa dem Münzkabinett der Antikensammlung), dank der saftigen Ticketpreise eignen sie sich aber genauso wenig für unsere Zwecke wie der Monbijoupark. Das kleine grüne Fleckchen ist zwar gratis, aber von Auto, S-Bahn und ICE hoffnungslos durchlärmt.

Eine kleine Auszeit gönnen wir unseren strapazierten Ohren in den hinteren Hackeschen Höfen. Etwa in Hof V, wo es schon so leise ist, dass man aus einem Fenster Geigenspiel vernehmen kann. Leider stolpern ständig irgendwelche Schwaben auf der Suche nach dem Spirit von Mitte vorbei. Wir ziehen uns zurück.

Und machen eine fantastische Entdeckung: Es gibt ihn, den perfekten Ort der Stille, und es ist tatsächlich eine Kirche: Die Sophienkirche an der Großen Hamburger Straße hat nicht nur Berlins barockesten Turm, sie öffnet auch täglich zwischen 13 und 18 Uhr ihre Türen. Hier ist man endlich ganz mit sich allein. Wie Samt legt sich die Stille um die Besucher, schwer, fast greifbar. Ganz schwach dringt einmal Rabengekrächz durch die Fenster. Als wir endlich genug haben und uns von der Bank erheben, scheint sich der ganze Raum mit Knarren zu füllen.

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