Kinder- und Jugendtheater: Theaterbesuch als Pflichtfach

Weil kaum noch Kinder und Jugendliche ins Theater finden, denkt der Kulturausschuss über Zwangsvorführungen nach.

"Durch diese hohle Gasse..." Wilhelm Tell in der Parkaue Bild: dpa

Wenn Theaterintendanten als Gäste in den Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses geladen werden, gibt es meistens was zu lachen. Man denke nur an den letzten Auftritt von Claus Peymann, Gottvater des BE, als er die Schaubühne zum neuen "Boulevardtheater" des Westens oder das Deutsche Theater zur "Massenfabrik" für Klassiker ausrief.

Kommen die Leiter der Berliner Kinder- und Jugendtheater in dem Gremium zu Wort, herrscht die gegenteilige Stimmung. Es wird traurig in der Kulturausschussrunde. Das liegt keineswegs am geringeren Unterhaltungswert der Intendanten. Auch diese sehen lustig aus, können motzen und aufeinander losgehen oder chargieren. Die lähmende Stimmung hat vielmehr damit was zu tun, dass die Theatermacher zumeist vom langsamen Sterben eines kulturell und pädagogisch eigentlich für unsere Gesellschaft überlebenswichtigen Sektors berichten: nämlich von der Gefahr, dass "das Theater als großartigstes Bildungserlebnis für Jugendliche" vor die Hunde zu gehen droht, wie es Volker Ludwig, Leiter des Grips Theaters, am Montag drastisch formulierte.

Wenn man Ludwig zuhört, wie er erzählt, dass "mehr als die Hälfte aller Berliner Kinder niemals eine Berührung mit einem Theater erfahren", spürt man den bildungspolitischen Skandal. Zwar fehlt es oft an Geld von daheim, eine Aufführung zu besuchen, sagt Ludwig, aber noch schlimmer ist, dass es keine Konzepte für alle Kindergärten und Schulen gibt, Kinder und Jugendliche an Programme, Theaterbesuche und das Theaterspiel heranzuführen. In Berlin ist es jedem Lehrer selber überlassen, ob er seine Pennäler mal zu einer Bühne schleppt. "In Schweden ist das anders", berichtet Ludwig. Dort seien alle Kinder "Theaterexperten", weil der Lehrplan mindestens zwei Besuche pro Schuljahr vorschreibt. Applaus!

Kay Wuschek vom Theater an der Parkaue und Wolfgang Stüßel, Intendant am Jugendtheater Strahl, haben noch ganz andere Storys auf Lager. Etwa die, dass sich die Zahl der Jugendtheater-Besucher in den letzten Jahren insgesamt auf 190.000 halbiert hat, die Kids Eintrittspreise von 2 oder 5 Euro nicht mehr zahlen können geschweige denn die BVG-Fahrt zum Theater. Die Reihen bleiben leer, so Wuschek und Stüßel, wegen übervoller Lehrpläne, wegen fehlender Zeit für die Kunst und weil man sich einfach nur mit "anderem Zeug" ablenken möchte. Da nutzt es wenig, dass das Land Berlin die Theater mit knapp 10 Millionen Euro jährlich fördert. Wenn kein Gefühl für die Theaterkunst erzeugt wird, ist das rausgeworfenes Geld.

Gibt es noch Hoffnung? Natürlich, sagen Klaus Wowereit und André Schmitz, die beiden Kulturattachés des Senats. Machen wirs den Schweden nach. "In der Tat, man muss Theaterbesuche zur Pflicht machen!", ruft Schmitz. Eine oder zwei Aufführungen pro Jahr. "Das wärs". Da mussten einige - trotz der traurigen Geschichten - dann doch im Kulturausschuss lachen.

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