Bezirke: Neukölln wird europäisch

Als einzige deutsche Kommune wird der berühmt-berüchtigte Bezirk für das Programm "Interkulturelle Städte" von Europarat und EU-Kommission ausgewählt. Die Projektteilnehmer sollen voneinander lernen.

Neukölln auch bei den Frisuren international Bild: dpa

Das Naturkostgeschäft in der Neuköllner Herrfurthstraße hat einen ungewöhnlichen Namen: "TuNatur" heißt es, "das ist eine Kombination aus meinem Nachnamen und dem Wort Natur", erklärt der Inhaber. Er heißt Cengiz Tuna, ist Türke und Moslem, und hat seine 40 Lebensjahre in Deutschland verbracht. Er spricht die Sprache besser als mancher Deutscher, und auch mit seinem Bioladen passt er nicht so recht ins Klischee.

Typisch Neukölln - was heißt das eigentlich? Fest steht: Neben den Berichten über Armut und Gewalt, die den Kiez bundesweit immer wieder in die Schlagzeilen bringen, gibt es eine ethnisch-kulturelle Vielfalt, die von vielen Bewohnern durchaus geschätzt wird. Und das Zusammenleben wird mit einer ganzen Reihe von Projekten unterstützt. Es gibt zum Beispiel den interkulturellen Treff "Madonna" im Rollbergviertel, wo Mädchen in Ruhe reden oder auch Theater spielen können. Viele Programme richten sich an Erwachsene, wie etwa die "Stadtteilmütter": Migrantinnen werden dafür ausgebildet, andere Migrantinnen zu beraten. Dieses Engagement soll systematisiert werden: Als einzige deutsche Kommune wurde Neukölln für die Pilotphase des Programmes "Interkulturelle Städte" des Europarates und der EU-Kommission nominiert.

Der Berliner Bezirk sowie voraussichtlich elf weitere europäische Kommunen - alle mit einem hohen Migrantenanteil - sollen in den kommenden Jahren mit Hilfe dieses Programms ein Städtenetzwerk bilden und gemeinsam herausfinden, wie sie ihre kulturelle Vielfalt so managen können, dass aus ihr ein Pluspunkt wird. Denn in all diesen Städten gibt es zwar viele Projekte, aber eben auch viele Probleme.

Die Entscheidung für Neukölln fiel vor einigen Wochen nach dem Besuch einer Delegation aus Straßburg. Dorothea Kolland, Leiterin des Neuköllner Amtes für Kultur und Bibliotheken, hat das Team des Europarates zusammen mit dem Integrationsbeauftragten Arnold Mengelkoch und der Neuköllner Europabeauftragten Franziska Süllke betreut. Der Bezirk habe für die Straßburger Experten einiges zu bieten, sagt Kolland: Das Projekt habe nämlich nicht zum Ziel, dass Deutsche etwas für Ausländer täten, sondern dass Deutsche und Migranten gemeinsam Initiativen ergriffen. "Und gerade damit steht Neukölln gar nicht schlecht da."

Das Programm von Europarat und Europäischer Kommission beinhaltet keine festen Vorgaben, viel Geld gibt es aber auch nicht: 800.000 Euro seien insgesamt vorgesehen, erklärt Süllke. Und was bedeutet das Programm genau? "Das ist alles noch sehr unbestimmt", sagt die Europabeauftragte. Eines aber steht schon mal fest, das nächste Treffen: Im Mai findet in Liverpool die Konferenz "Intercultural Cities" statt, wo sich die ausgewählten europäischen Kommunen kennenlernen und untereinander Kontakte knüpfen sollen.

Irgendwann in der Zukunft mag das Programm also womöglich dabei helfen, das Zusammenleben der Nationen zu verbesseren. Die Neuköllner Situation, wie sie derzeit ist, sieht Cengiz Tuna allerdings skeptisch: "Das Zusammenleben klappt nicht", findet er. "Oder nur zum Teil. Was fehlt, ist Anerkennung." Damit meint er vor allem die Anerkennung und Tolerierung der Unterschiede durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft. So führt er seit zehn Jahren sein Naturkostgeschäft, seit einem Jahr trägt seine Frau Kopftuch: "Seitdem sind unsere Umsätze um ein Drittel zurückgegangen."

www.coe.int/t/dg4/cultureheritage/Policies/Cities/shortlist_en.asp#TopOfPage

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