Dauerdemo gegen Zwang

Seit Monaten demonstrieren Betroffene gegen das Psychiatrie-Krankengesetz. Das verstoße gegen Menschenrechte. Bis Dezember wird weiterprotestiert

Ein gutes Dutzend Menschen mit einem Transparent haben sich in der Nähe der Jannowitzbrücke postiert und verteilen Flugblätter. „Sie protestieren sicher gegen Menschenrechtsverletzungen in China“, vermutet ein älterer Mann zu einer Frau, die ihm ein Informationsblatt überreichen will. Schließlich befindet sich auf der anderen Straßenseite die chinesische Botschaft.

Doch das Ziel der DemonstrantInnen liegt näher. Es ist die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, die in der Brückenstraße 6 ihr Domizil hat. An sie richten Betroffenenorganisationen der PsychiatriepatientInnen, darunter die Irrenoffensive, der Landesverband Psychiatrieerfahrener Berlin-Brandenburg e. V. und der Verein zum Schutz vor psychiatrischer Gewalt ihre Forderung: Streichung oder Reformierung des Berliner Psychiatrie-Krankengesetzes. Es regelt die Zwangsbehandlung und Zwangsunterbringung von Menschen, die als geisteskrank oder selbst- und fremdgefährdet bezeichnet werden.

„Eigentlich wollen wir die Abschaffung des Gesetzes. Doch als Kompromiss müssen zumindest jene Bestimmungen gestrichen werden, die Zwang und Gewalt legalisieren“, erklärt der Sprecher der Landesverband Psychiatrieerfahrener Berlin-Brandenburg e. V., Rene Talbot. Das Gesetz in der gegenwärtigen Form widerspricht nach Meinung des Protestbündnisses gegen die UN-Behindertenkonvention, die auch von Deutschland unterzeichnet wurde.

Talbot verweist auf ein von den Psychiatrieerfahrenen in Auftrag gegebenes Gutachten, in dem der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck zu dem Schluss kommt, dass die Zwangsunterbringung und -behandlung mit der UN-Konvention unvereinbar ist. „Psychisch Kranke sind […] Behinderte im Sinne der Behindertenkonvention. Ihnen darf […] gegen ihren bekundeten Willen aufgrund einer psychischen Erkrankung weder die Freiheit entzogen noch zwangsweise eine medizinische Behandlung angediehen werden“, heißt es dort.

Die Senatsverwaltung für Gesundheit lehnt die Forderungen der DemonstrantInnen ab. Ihre Umsetzung würde die rechtliche Situation der PsychiatriepatientInnen verschlechtern. Das Berliner Gesetz habe sich in seiner Umsetzung bewährt und diene dem Schutz der PatientInnen, betont Pressesprecherin Marie-Luise Dittmar. „Eine Streichung der Unterbringungsregelungen würde bedeuten, dass Unterbringungen dann ohne besonderen Schutz und Überprüfungsbestimmungen erfolgen müssten.“ Sie sehe auch keinen Widerspruch mit der UN-Behindertenkonvention.

Das Gleiche sagt auch die Bundesregierung. Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium Klaus Brandner hatte in einer Antwort auf eine Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Jörg Rhode betont, dass auch nach der UN-Konvention ein Freiheitsentzug aufgrund einer Fremd- oder Selbstgefährdung möglich sei.

Auch vom behindertenpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion der Linken, Ilja Seifert, bekommen die PsychiatriekritikerInnen wenig Ermutigung. Seifert findet den Forderungskatalog zwar sympathisch, aber in der kurzen Zeit nicht realisierbar. „Wenn wir die Sicherung der elementarsten Abwehrrechte tatsächlich als Grundbedingung für die Ratifizierung der UN-Behindertenkonvention setzen, laufen wir Gefahr, einer Verschiebung der Konvention auf den Sankt-Nimmerleins-Tag Vorschub zu leisten.“

Die DemonstrantInnen wollen ihre Proteste trotzdem fortsetzen. Jeden Wochentag zwischen 15.30 Uhr und 18 Uhr werden sie vor der Senatsverwaltung PolitikerInnen und PassantInnen ansprechen. Die Dauerdemonstration ist bis Mitte Dezember angemeldet. PETER NOWAK