Pankow: Vielfalt in Eigenregie

Pankow bekommt ein neues Jugendzentrum. Zugunsten des schick sanierten Gebäudes sollten zwei bestehende Einrichtungen, "Kurt-Lade-Club" und "Garage", geschlossen werden - gegen den Willen der Jugendlichen.

Noah will berühmt werden. Er ist 12, "fast 13", wie er stolz betont, und mit seinen braunen Locken sieht er ein bisschen aus wie Frodo aus "Herr der Ringe". Noah und seine vier Freunde von der Band "Die melodische Renate" proben einmal in der Woche im Jugendclub "Garage Pankow". Die Gitarren zittern, das Schlagzeug dröhnt, Noah singt mit seiner Kinderstimme rockige Balladen ins Mikrofon. Der Raum misst nicht mehr als zwölf Quadratmeter und ist mit Verstärkern, Mikros und Instrumenten zugestellt. Bald wird die Schülercombo umziehen, in ihr nagelneues Domizil in der Mühlenstraße. "Unser neuer Proberaum dort ist doppelt so groß und ganz neu", freut sich Noah. Seine Euphorie wird in der Garage allerdings von nur wenigen geteilt. Denn das neue Haus bedroht die Existenz der Garage und die eines weiteren linken, alteingesessenen Jugendclubs in Pankow - des Kurt-Lade-Klubs.

Die Geschichte begann eigentlich wie ein Märchen: Vor zwei Jahren regnete es von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung fast 2 Millionen Euro für ein Jugendzentrum in Pankow - viel Geld für den armen Bezirk. Der Haken: Nicht den bereits bestehenden Clubs sollte der Goldrausch zugutekommen, sondern dem Ausbau eines neuen Hauses, der ehemaligen Caragiale-Bibliothek in der Mühlenstraße. Neuer, schicker, größer, hieß die Devise für das neue Aushängeschild für Jugendarbeit in Pankow: Der blätternde Charme der kleineren Häuser, Kurt-Lade-Klub und Garage Pankow, konnte da nicht mithalten. Sie entsprächen nicht mehr den Sicherheitsstandards und sollten "in dem neuen Haus aufgehen", beschreibt es Walter Sablotny vom Bezirksamt. Das wäre das Aus für die beiden linken Einrichtungen gewesen. Doch es kam anders.

Denn die Jugendlichen vom Lade und der Garage wollten ihre alten Clubs nicht aufgeben. "Wir haben hier so viel Arbeit und Herzblut reingesteckt", sagt Vanja Kovacev. Der 28-Jährige sitzt auf der Terrasse der alten Villa, in der der Lade untergebracht ist, und nippt an seinem Kaffee. Er hat fast seine ganze Jugend in diesem Club verbracht. "Alles außer den Außenmauern des Hauses ist mit der Zeit von uns geschaffen worden" sagt er stolz. In den bunt bemalten Proberäumen des Kurt-Lade-Klubs sind Bands groß geworden, hier gibt es ein Tonstudio, Videoschnittplätze und sogar eine Tauchstation.

"Warum kann es Neues nur geben, wenn das Alte aufgegeben wird?", fragt auch Sabine Petrick, Leiterin der Garage. An der Wand ihres Büros hängt ein Plan, der die anfallenden Aufgaben unter den Jugendlichen aufteilt, vom Kabellöten im Theaterraum bis zum Brunnenbauen vor der Graffitiwand. "Die gemeinsame Verantwortung hat uns zusammengeschweißt", sagt Petrick.

In langen Diskussionen mit dem Bezirksamt wurde nun ein Kompromiss erarbeitet, der für alle Beteiligten zumindest erträglich sein soll. Neben dem neuen Haus können die beiden kleinen Clubs nun doch bestehen bleiben. "Wir richten uns in der Mühlenstraße eher an die Zielgruppe von zwölf bis sechzehn Jahren, die Älteren bleiben im Lade und der Garage" sagt Gregor Wengel, bisher Leiter der Garage, der demnächst zusammen mit Petrick die Aufsicht über das neue Haus übernimmt. Die Besonderheit: Der Lade und die Garage werden ab jetzt komplett von den Jugendlichen selbst organisiert, es gibt keine bezahlte Stelle mehr für die Häuser. Das Bezirksamt übernimmt nur noch die Betriebskosten. Ein Pilotprojekt in Deutschland, das einen Ausweg für andere von der Schließung bedrohte Jugendzentren zeigen soll - und die Ämter entlastet.

Der neue, noch namenlose Club, ein majestätischer Backsteinbau, liegt nur ein paar Straßen von den beiden kleinen Clubs entfernt. Hier herrscht ein ganz anderes Flair als in der ranzig-bunten Garage, deren vollgesprühte Wände unter wildem Wein verschwinden. Noch sind die Sanierungsarbeiten nicht ganz abgeschlossen. In der Einfahrt steht ein Bagger, in den Innenräumen liegt schwer der Geruch von neuem Linoleum, kein Fleck trübt das grelle Weiß der frisch getünchten Wände. Die Säle sind nummeriert, tragen Namen wie "Multifunktionsraum" und "Bewegungsraum". Tobende Kinder kann man sich hier nur schwer vorstellen.

"Ziel des Hauses soll sein, jungen Menschen Freiraum für Kreativität und Meinungsbildungsprozesse zu geben", beschreibt Sablotny die Mission des Hauses mit wohlklingenden Worten. Um den Bedürfnissen der Kinder zu entsprechen, haben sich die Planer einiges überlegt. Die Bar im hauseigenen Café erinnert ein wenig an die Kulisse einer Seifenoper. In greller Neonschrift leuchtet das Wort "Imagine" über der Tür zum Multifunktionsraum. "Das ist jugendlich, das hat Clubcharakter", behauptet Beate Rothensee, die den eigens für die Mühlenstraße ausgeschriebenen Wettbewerb "Kunst am Bau" gewonnen hat.

Auch an der Sicherheitstechnik wurde nicht gespart. Alle Türen sind mit Zahlencodes gesichert. Nach 24 Uhr müssen auch Leute, die einen Schlüssel zum Haus besitzen, den Wachschutz anrufen und ein Geheimwort durchgeben - sonst kommt automatisch die Polizei. "Normaler Standard heutzutage", sagt Sablotny vom Bezirksamt. Nur für die Inneneinrichtung blieb kein Geld, sie muss nun aus zweiter Hand zusammengesammelt werden. "Die Senatsverwaltung hat gerade ihre alten Computer abzugeben, die passen gut in den Medienraum", sagt Sablotny.

"Das neue Haus ist mir viel zu steril, hier ist nichts natürlich gewachsen", bewertet Vanja Kovacev die Mühlenstraße. "Diese Unkultur, dass alles neu und schick sein soll und die Räume Schilder tragen wie auf dem Arbeitsamt - ich kann damit nichts anfangen." Da bleibe er lieber im Lade und kümmere sich darum, dass der Betrieb hier weitergeht. "Freiräume stelle ich mir anders vor", sagt Kovacev. Trotzdem sieht er in der neuen Organisationsform auch eine Chance: "Durch das Mehr an Freiheit und Verantwortung kann hier im Lade etwas Einzigartiges entstehen. Wir können hier unsere Träume realisieren, ohne dass jemand reinredet." Zusammen mit einer Handvoll Freiwilligen wird Kovacev als Tontechniker, Studiobetreiber und Konzertorganisator demnächst den Kurt-Lade-Klub in Eigenregie organisieren. "Auch Hausreinigung und Ausbesserungsarbeiten und die pädagogische Aufsicht sind jetzt unsere Jobs", sagt Kovacev.

Für Bezirksamtsleiter Sablotny ist jedoch absehbar, dass es nicht ewig drei Jugendclubs geben kann. Selbst für die Betriebskosten reicht das Geld des Bezirks nicht auf Dauer. "Wir werden sehen, wie gut sich die Clubs weiterentwickeln", gibt sich der Amtsvertreter diplomatisch.

Es gab auch noch einen weiteren Grund für die Abwendung der Schließung: "Damit hätten wir der Forderung der Jungen Nationalen recht gegeben. Das wollten wir auf jeden Fall verhindern", sagt Sablotny geradeheraus. Die Jugendorganisation der NPD hatte verlangt, den Lade-Klub zu räumen. Immer wieder mussten die rechten Parolen vom Eingangstor des Lade abgewaschen werden. Und das neue Haus in der Mühlenstraße war bis 1938 ein jüdisches Lehrlingsheim, es wurde von den Nazis geräumt. Da würde es gar nicht gut kommen, wenn sich zu dessen Neueröffnung die Rechtsextremen in Pankow über die Schließung eines linken Jugendclubs gefreut hätten.

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